1900 Jahre Moto Guzzi

Sensationelle Römerfunde in Mainz belegen: Die Geschichte des Motorrads muß neu geschrieben werden

Die Stadt Mainz erlebte bei den Baggerarbeiten für das neue Einkaufszentrum in der City eine archäologische Sensation nach der anderen: Zuerst wurde ein komplettes römisches Amphitheater freigelegt, dann fand man den heiligen Tempelbereich der römischen Besatzer. Im Schatten dieser Funde wäre der für die Leser der Homepage des Falcone-Clubs wichtigste Fund beinahe übersehen worden: Die Reste eines historischen Vorläufers einer Moto Guzzi aus dem Jahre 100 n.Chr..

Die Abdrücke eines hölzernen Speichenrades im Erdreich wären an sich noch keine Meldung wert gewesen, währen da nicht die mit Pech getränkten Reste eines Leinenschlauches gewesen, die dieses Rad unzweifelhaft zum ersten Vorläufer des modernen luftbereiften Rades gemacht haben. Vorsichtige Archäologen legten daraufhin nach und nach Details frei, die bei den Ausgräbern zunächst ratloses Kopfschütteln hervorriefen oder gar den Verdacht auf einen schlechten Scherz weckten: Das erste nachweislich mit eigener Kraft angetriebene Zweirad der Erdgeschichte wurde in Mainz nach fast 2000 Jahren freigelegt!

Die Rekonstruktion und vor allem die Aufklärung über die ursprüngliche Funktionsweise gelang nur Dank der intensiven Zusammenarbeit des römisch-germanischen Museums in Trier und dem Institut für Zweiradgeschichte an der Universität Mainz, wobei neben der klassischen C-14-Methode zur Altersbestimmung vor allem Computersimulationen eingesetzt wurden. Doch nun der Reihe nach:

Ein Emblem am hölzernen Tank (Abbildung 1) zeigt die Zugehörigkeit des Fahrzeugs zur IV. Centuria, II. Kohorte, VI. Legion der römischen Besatzungsmacht in Germanien. Das Typenschild weist die Inschrift MGFM auf, was möglicherweise für „Mobile Guzzinus Fecit Moguntiacum“ steht (Guzzi Fahrzeug, hergestellt in Mainz).

Abbildung 1: Tankemblem der Mobile Guzzinus Fecit Moguniacum, man beachte den zeitgenössischen Kopfschutz des Legionsadlers!

Als Treibstoff für das Vehikel diente das Erdölprodukt Naphta, dass schon den Phöniziern zur Beleuchtung ihrer Leuchttürme diente. Das Naphta wurde in ein kleines Holzfass an der obersten Stelle des Zweirads eingefüllt. Die Rekonstruktion der Gemischaufbereitung bereitete den Forschern des Zweiradinstituts das meiste Kopfzerbrechen: Da die Treibstoffleitungen vollständig verrottet waren, war der Weg des Stoffs nur schwer zu rekonstruieren. Offensichtlich verwendete man einen Vorläufer des Dochtvergasers: Das Naphta lief in eine kleine Öllampe, der Docht selbst reichte in das Ansaugrohr aus Bronze und sorgte dort für eine Vermischung mit der Ansaugluft. Naphta ist ein Mittelding zwischen dem heutigen Diesel und Benzin, zur Zündung diente eine Art Glühkerzenzündung: Ein Bronzestift reichte in den Verbrennungsraum und wurde von Außen mit einem weiteren Öllämpchen angeheizt. Die eigentliche Sensation war jedoch der Motor selbst: Eine hohlgebohrte Säule aus Marmor, in der ein Kolben aus dem gleichen Material lief. Dieser Vorläufer moderner Keramikwerkstoffe hatte eindeutig selbstschmierende Eigenschaften, wenn auch wahrscheinlich keine lange Lebensdauer. Der Hubraum betrug 82 römische Kubik-Dezi-Fuss, was ungefähr 2 Litern entspricht. Das Triebwerke hatte praktische keine Verdichtung.

Die Kraftübertragung vom Kolben auf das Hinterrad erfolgte durch einen Pleuel aus dem sehr harten Lafettenholz (Ulmus suberose), aus dem auch die Speere der Legionäre hergestellt wurden. Eine Federung war weder hinten noch vorne vorgesehen, was bei den damaligen Strassenverhältnissen (vergleiche z.B. die Via Appia bei Rom) wohl eine Tortur für Fahrer und Fahrzeug gewesen sein muss.

Das Fahrwerk selbst bietet keine besonderen Sensationen. Auffallend war die weitgehende Verwendung standardisierter römischer Gebrauchsgegenstände. So entstammten die Griffe am Lenker dem römischen Kurzschwert. Die Sattelauflage war ein klassischer Pferdesattel, der Auspuff glich einer römischen Kampf-Lure aus Bronze (vergleichbar der Posaune von Jericho), mit der die Legionäre im Gefecht den Germanen Angst und sich selbst Mut einzujagen versuchten.

Die Rekonstruktion des Fahrzeugs selbst war eine heikle Aufgabe, da einige Werkstoffe heute gar nicht mehr zu erhalten sind. So ist Lafettenholz seit dem grossen Ulmensterben am Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa nicht mehr verfügbar. Der spannenste Augenblick war natürlich der erste Fahrversuch mit der Rekonstruktion: Nach 84 Startversuchen (Anlassen durch Anrollen, zahlreiche erfolglose Vorheizversuche, zwei erfolgreiche Löschangriffe gegen den überlaufenden Vergaser) sprang die Maschine tatsächlich an, nach ca. 34,5 Umdrehungen sprang der Zylinderkopf (Ein römisches Säulenkapitel, das sind die reich verzierten oberen Säulenenden) weg und nach zwei weiteren Umdrehungen sprang der Kolben hinterher (bzw. dem Fahrzeug voraus), weil die Fixierung des Pleuelauges mit verkeilten Speerspitzen wohl noch ein anderes ungelöstes Betriebsgeheimnis in sich verbarg. Die Messungen auf dem Motorenprüfstand zeigten, dass der Auspuff keinerlei nutzbaren Rückstau erzeugen kann, dafür aber dem Motorengeräusch eine bedenkliche Note beifügen, die dem alternde Prof. Dr. Diesel beim ersten Motorenlauf die zweite Bypass-Operation einbrachte. Die Messgeräte für Lärm und Abgas waren nach diesem kurzen Motorenlauf übrigens nur noch als Ausstellungsstücke verwendbar (verbogene Zeiger!). Die Ursache für den Motorschaden lag wohl in der unberechenbaren Naphtazufuhr, da der Dochtvergaser keinen regulierenden Schwimmer besitzt. Möglicherweise wurde aus diesem Grund diese technische Entwicklung für die folgenden 1900 Jahre auch nicht mehr weiterverfolgt. Das gemessene Leistungsdiagramm weist übrigens bei 30 U/min ein auffälliges Leistungsloch auf, das durch die moderneren Werkstoffe bei modernen Guzzis heute erst bei ca. 3000 U/min liegt.

Abbildung 2: Leistungsdiagramm des Originalmotors. Bei 34,5 U/min endet das Leistungsdiagramm wegen des Motorschadens. Man beachte das wohlbekannte Leistungsloch!

Um die Fahrwerkseigenschaften doch noch testen zu können, wurde hilfsweise ein 500 cm3 Rotax-Motor eingesetzt und ein Testfahrer drauf gesetzt (Fahrer Klacks Lederkuss musste zuvor mit Asti Spumante ruhig gestellt werden). Da der Nachlauf der steilen Vorderradgabel mit 1 cm extrem klein ist, schlingerte das Gefährt gefährlich, bevor es sich bei Tempo 60 aufschaukelte und samt Testfahrer zu Boden ging. Der Nachbau des Kampf-Luren-Auspuffs erhielt übrigens an der gleichen Stelle Schleifspuren, an der schon der Originalfund welche aufwies, ein eindeutiger Beweis, dass auch dieses Gefährt schon Stürze hinter sich gebracht hatte. Die These, dass die abgebrochenen Nasen der römischen Skulpturen auf Vandalismus und Umweltschäden zurückzuführen seien, muss vielleicht revidiert werden: Es sind möglicherweise die detailtreuen Abbildungen römischer Kradfahrer mit schlecht geheilten Nasenbeinbrüchen (Die Römer kannten nur den Halbschalenhelm!).

Die zweite Sensation war die Papyrus-Rolle, die man am Lenker fand: Der Text wurde zweifelsfrei als der erste nachgewiesene Strafzettel entziffert. Er wurde von der römischen Tempelwache ausgefertigt. Offensichtlich war schon damals das Parken im heiligen Bezirk verboten. Die drei Sesterzen Strafe waren übrigens der Monatslohn eines Kohortenführers der römischen Legion. Die Rekonstruktion des Zweirads wird demnächst in die Dauerausstellung der römischen Schiffsmuseums in Mainz übernommen.

Ein weiteres interessantes Detail ist der Fund des dazu gehörigen Bordwerkzeugs (Abbildung 3): Eine Zange zum Herausziehen verlorener Hufnägel aus den Rädern (rechts im Bild), ein Satz Schraubenzieher (oben) sowie ein Bund mit den Vorläufern der heutigen Inbusschlüssel (unten). Der lateinische Wortstamm „Inbus“ (von Einführen) weist auf die frühzeitige Benutzung dieses Schraubensystems hin. Die verwendete Bronze steht in ihrer Weichheit den Bordwerkzeugen von modernen Motorrädern in nichts nach.

Abbildung 3: Bordwerkzeug aus Bronze: Zange, Schraubenzieher und Inbusschlüssel aus weicher Bronze in Herstellerqualität.

Eine Grabmal-Eindeckung (Fund aus Trier, Abbildung 4) aus dem Jahr 119 n.Ch. zeigt schon einen Kradfahrer mit einem stark stilisierten Motorrad. Diese Bild wurde vor dem Mainzer Fund immer als Darstellung eines Kinderspielzeugs mißgedeutet. Die Datierung des Fundes beweist auch die Tatsache, dass die Römerhelmpflicht in der Provinz Germania Superior erst nach 119 n.Ch. eingeführt wurde. 

Abbildung 4: Erste historisch belegte Abbildung eines Motorrads, ca. 119 n.Ch.. Der Fahrer starb übrigens nicht an Unfallfolgen, sondern an Steuerschulden.

Wuschel