EINE GUZZI – GESCHICHTE 1991

Nachdem ich mit meinem ersten Falcone-Jupiter-Gespann Erfahrung gesammelt hatte, begann ich mit dem Aufbau eines robusten Fernreisegespannes mit Ural 18 Zoll-Seitenwagen. Durch Fahrwerksänderungen, vergrößerte Bodenfreiheit und solide Beiwagenanschlußteile entstand ein klassisches Allzweckgespann mit imponierender Geländegängigkeit. Die Serien-NF-Militare wurde wie folgt modifiziert: 

1. Kolben 7,5 : 1 Verdichtung, 505 ccm Sonderanfertigung 

2. Drehbarer und erleichterter Ventiltrieb 8 mm, bleifrei 

3. Zylinderkopf mit Doppelzündung 

4. Magnet-Ölablaßschrauben 

5. Feinstromfiltersystem, außenliegend 

6. Kipphebelzusatzschmierleitung 

7. Zusatzinstrumente für Öldruck und Öltemperatur 

8. Ritzel 16 Z – Kettenrad 42 Z ( i= 1:2,62 ) 

9. Kegelrollen-Lenkkopflager 

10. Buchsengelagerte, abschmierbare Schwinge 

11. Verlängerter Koni-Dämpfersatz mit Gespannfeder 

12. Verlängerte Vorderradgabel Marzocchi Ø 41,7 mm 

13. Doppelduplex-Vorderrad der V7 Sport 18 Zoll 

14. Verstärktes Hinterrad mit 4,00 – 18 Blockprofil 

15. Geänderte Kettenspanner der Hinterradschwinge 

16. Lenkungsdämpfersystem mit Sonderhalterung 

17. Auspuffkrümmerkühlflansch 

18. Geänderte Bordelektrik mit Sicherungskasten 

19. Kompletter H4-Hauptscheinwerfer 

20. Verbreiterte Schutzbleche 

21. Reserverad, Sahara-Seitenkoffer

Durch das hohe Eigengewicht des Seitenwagens und die geforderte Gelände- und Fernreisetauglichkeit des Gespannfahrzeuges hatte ich einen wesentlich höheren Material- und Kostenaufwand als beim vergleichsweise leichten Velorex- oder Jupitergespann. ( Alle Änderungen und Sonderanfertigungen sind einzeln oder zusammen wahlweise umrüstbar, d.h., man kann sich die Solo- oder Gespannmaschine je nach Wunsch zusammenstellen. Da alle Nuovo-Falcone Ausführungen nahezu gleich sind, dürfte es für die meisten Besitzer recht einfach sein, fast alle Arbeiten selbst durchzuführen.) Doch nun zurück zur Testfahrt. Unser Mini-Team bestand aus Andreas mit seiner Sport-Falcone und mir mit Militare-Ural-Gespann. Uns hatte der Schrauberstreß arg mitgenommen, denn bei beiden Fahrzeugen hatten wir die Motoren instandgesetzt und modifiziert, vom Fahrwerkumbau ganz zu schweigen. Endlich war es dann soweit. 

Am Montag, den 19.11.1990, 10.30 Uhr starteten wir in Winterhausen die Nuovos und legten den ersten Gang ein. Schon nach wenigen Kilometern war der Streß vergessen und wir fuhren mit gleichmäßigen Drehzahlen nach Bad Wimpfen zu unserem Freund Willi. Kurze Rast bei Kaffee und Gebäck nutzten wir zum Fachsimpeln. Gegen Abend ging es dann weiter. Volltanken (bleifrei normal), kurze Durchsicht, Zündung nachstellen und Regenklamotten anziehen. Wir fuhren mit gemütlichen 80 km/h bis zum Rastplatz Baden-Baden. 

Das Gespann lief ganz toll geradeaus und vermittelte auch sonst ein außerst solides Fahrgefühl. Durch die stabile Gabel und das Koni-Fahrwerk war die Falcone kaum wiederzuerkennen. Der Lenkungsdämpfer schluckte alles, was die Fahrbahn an Unregelmäßigkeiten anzubieten hatte und ich kam mir vor wie auf einem großen Mille- oder California-Gespann. Es regnete ununterbrochen und langsam kroch die Kälte in unsere Knochen. Kurz nach der französischen Grenze erreichten wir unser erstes Etappenziel St. Louis mit seinem alten Bahnhofsgebäude – eine zwar harte, aber wenigstens trockene Schlafmöglichkeit. 

Die nächsten zwei Tage unserer Fahrt in Richtung Südfrankreich sind schnell erzählt. Regen, Kälte, Wind und wieder Regen, Regen! Zum Gluck liefen unsere Guzzis stur ihre Bahn, denn ihre Fahrer hatten bereits seit Tagen „die Schnauze voll“. Der Wind tat sein Bestes, um mein Gespann auf Null abzubremsen. Dabei hatte er sich anscheinend mit einigen Hügeln und Bergen verbündet, denn immer, wenn es aufwärts ging, schlug das Lüftchen erbarmungslos zu. 

Trotz meiner Geheimwaffe Doppelzündung und 42er Kettenrad wurde ich das Gefühl nicht los, daß der Ural-Seitenwagen doch etwas zu schwer fur die betagte 500er war. Oft plagten mich am Berg schwere Gewissensbisse, die später auf ebener Strecke durch wachsenden Fahrspaß rasch verflogen. Eigentlich hatte sich recht wenig im Vergleich zur Serien-Falcone geändert, auch hier war die richtige Endübersetzung entscheidend. Das Problem Gegenwind schien vor allem eine Frage der Spur- und Baubreite des Gespannes zu sein. Trotz allem, toll klassisch sah die Kiste aus, robust war sie obendrein und im leichten Gelände machte sie einen Riesenspaß – das war das Wichtigste! (Wer hohe Endgeschwindigkeiten fahren will, sollte sich etwas Anderes kaufen. Den Charme einer Falcone hat er dann jedenfalls nicht unterm Hintern.) 

Es regnete in einer Tour. Ich grübelte stundenlang vor mich hin und endlich erreichten wir nach einer Ewigkeit die Stadt Avignon, wo in Villeneuve das Eingangstor zum Fort Andrè zur Übernachtung herhalten mußte. Nach eiskalter und knochenharter Nacht ging am nächsten Morgen strahlend die Sonne auf und wolkenloser Himmel weckte in uns erneut den Mut zum Weiterfahren. Kaffee und freundliche Leute taten das Übrige, um unsere Laune wieder aufzubauen. Technischer Dienst im Schatten des Bistros war angesagt und in Gesellschaft einiger interessierter Franzosen wurden die üblichen Arbeiten nach einer Regenschlacht durchgeführt. Zum Gluck hatten wir kaum Probleme und freuten uns über die Zuverlässigkeit beider Fahrzeuge. Gegen Mittag ging es zügig weiter nach St. Maxime an die Mittelmeerküste. Hier konnten wir uns kurz erholen und gleichzeitig ein paar Karten schreiben. Abends kleiner Umtrunk am Strand und anschließend trockene Übernachtung unter dem ausgefransten Sonnendach eines leerstehenden Strandhauses. 

Am nächsten Tag wollten wir in einem Stück bis Lugano durchstarten. Nach einem spartanischen Frühstück wurde bei beiden Fahrzeugen Motor und Fahrwerk genau kontrolliert und diverse Kleinigkeiten instandgesetzt. Bei meinem Gespann war der Kupplungszug angerissen und der Lichtschalter ausgeglüht. Auch an der Sport von Andreas hatte der Dauerregen die Elektrik unter Wasser gesetzt und einige Kontaktstellen lahmgelegt. Nach kurzer Fahrt verließen wir in Monaco die trockene Küstenstraße und fuhren nach Passieren der Grenze in Menton auf der Autostrada nach Genua. 

Die langweilige Autobahnfahrt nutzten wir zur Kontrolle des Übersetzungsverhältnisses, der Zündeinstellung sowie des Öldrucks bei unterschiedlichen Drehzahlen und Geschwindigkeitsbereichen. 

Bei Temperaturen um die 10 Grad und kaum Wind lief das gewichtige Ungetüm gute 100 km/h. Beim Tankstopp in Tortona wurde ein bleifreinormal-Verbrauch von 6,51 auf 100 km ausgerechnet, ein durchaus vertretbarer Wert und sicherlich auch mit ein Verdienst der Doppelzündung sowie der passenden Sekundärübersetzung. Kurz vor Mailand empfing uns wieder Regen und Kalte,  und mit dem Thermometer fiel auch unsere Stimmung wieder in den Keller. Total erledigt erreichten wir unsere Übernachtungsmöglichkeit in San Rocco bei Lugano. 510 harte Kilometer lagen hinter uns und ich freute mich seit Stunden auf meinen hoffentlich noch trockenen Schlafsack. Ich hatte Glück, und nach einer erholsamen Nacht weckte mich Andreas mit der Hiobsbotschaft vom Wintereinbruch mit seiner weißen Pracht. Verschlafen riskierte ich einen Blick ins Freie und sah den Campingplatz verschneit vor mir liegen. 

Na dann Prost-Mahlzeit! Jetzt konnten wir uns auf etwas gefaßt machen. Carlo, der Besitzer des Campingplatzes hatte uns zu Ehren seinen Kamin entzündet und wir saßen umringt von dampfenden Klamotten am wohligen Holzfeuer und saugten die Warme gierig in uns hinein. So sehr es uns hier auch gefiel, wir mußten nach Hause. Schon beim Start gab’s Probleme. Am Gespann war der Chokezug festgefroren und der Gaszug schwergängig, beides Folgeerscheinungen der letzten Regentage. Nach kurzer Bastelei tuckerten wir die schmale, verschneite Bergstraße hinunter zum Luganer See. Das Wetter war saumäßig. Noch nie hatte ich hier einen derart starken Kälteeinbruch mit solchen Schneemassen erlebt. Anscheinend waren auch die meisten Einheimischen vom Wetter überrascht worden, denn nirgends wurde geräumt und wir hatten sichtlich Muhe, in der schmalen, vereisten Fahrrinne vorwärts zukommen. In Lugano, nach ganzen 20 km Fahrt waren wir schon halb erfroren. Trotzdem wollten wir versuchen, zum Bernadino-Tunnel hochzufahren. Am Autorastplatz Bellinzona ging erneut mein Gaszug fest und nach kurzem Blick unter den Tank sah ich das andere Ende des Zuges in einem Eisklumpen verschwinden. Jetzt war erstmal Pause. Ich packte den Zylinder mitsamt Ansaugstutzen und Vergaser mit Decken winddicht ein, um mit der vorhandenen Restwarme den Eisklumpen aufzutauen. Die verölte Kerze flog in die Tonne und wurde durch eine Champion N9YC ersetzt, mit der ich sehr gute Erfahrungen bei normaler oder langsamer Fahrweise gemacht hatte. Zu allem Übel hatte ich auch noch Andreas im dichten Schneetreiben verloren. 

Ich war der Meinung, daß ihm ebenfalls eine Vergaservereisung zum Verhängnis geworden war. Nachdem mein Motor endlich wieder lief, fuhr ich zurück und suchte stundenlang vergebens. Mein Freund und seine CF-Sport blieben verschwunden. Wie sich später herausstellte, hatte er die Strecke zum St. Gotthard-Tunnel gewählt und war ohne Probleme bis nach Hause durchgefahren. 

Mit niedrigen Drehzahlen und gleichmäßiger Fahrt versuchte ich die verschneite Paßauffahrt zu bezwingen. Festgefahrene und stehengelassene Autos säumten meinen Weg und mit jedem Meter, den ich hinter mich brachte, schwand meine Hoffnung, die beginnende Steigung mit meinem wackeren Gespann zu meistern. Kurz nach Lostallo verengte sich die Fahrbahn und durch eine erneute Vergaservereisung blieb ich, zusammen mit vielen PKW-Fahrern endgültig im Schnee stecken. 

Die vorgegebene Zwangspause nutzte ich, um das mitgeführte Reserverad mit Geländeprofil zu montieren. Als ich nach zwei Stunden endlich wieder das dumpfe Blubbern aus dem Auspufftopf hörte, war es bereits dunkel und ich flüchtete entnervt und mit leichten Erfrierungen an den Fingerspitzen in das nächste Hotel hinter die Zentralheizung. Ganze 60 km hatte ich an diesem pannenreichen und unvergeßlichen Tag zurückgelegt. 

Von staunenden und mitleidsvollen Blicken des Hotelpersonals begleitet verließ ich ausgeruht und bepackt wie ein Maulesel meine Unterkunft in Richtung Parkplatz. Da stand sie nun, zugeschneit und richtig harmonisch in die Landschaft eingebettet. Während ich die Guzzi startklar machte, traf ich einige PKW- und Brummi-Fahrer, die ebenfalls hier übernachtet hatten. Trotz guter Zurede wollte leider niemand mit mir tauschen. Ich kramte im eiskalten Beiwagen und fand meine letzte saubere Zündkerze für das 14er Seriengewinde. Die kleine 12er Kerze der Doppelzündung war natürlich auch ersoffen, was mir bei diesem Wetter und ihrer unzugänglichen Position auch egal war. Ich ließ den Brennraum mit offenem Kerzenloch durch fleißiges Kickstartertreten bei geschlossenem Benzinhahn ausgasen und befaßte mich anschließend intensiv mit Gas- und Chokezug. Als Abschluß des Winterdienstes wurde die gesamte Rahmenpartie vom Zylinderkopf bis hinauf unter den Tank mit einer Plane windund wasserdicht verpackt, um ein erneutes Vereisen des Vergasers zu verhindern. Nach ca. einer Stunde liefen wir beide, der Motor warm – und ich hinter die Heizung. Die Aufwärmphase tat beiden gut und so holperte ich winkend und frohen Mutes über die vereiste Parkflache van dannen. Die naßkalte Wolke verzog sich mit zunehmender Höhe und bei klarem Himmel zeigte sich die wunderbare Gebirgslandschaft von ihrer schönsten Seite. Der am Hinterrad montierte Geländereifen brachte eine deutliche Verbesserung der Fahrsituation auf der verschneiten Piste. Nachdem auch keine Eisbildung am Vergaser mehr auftrat und der Motor sauber lief, wurde ich zunehmend frecher in meiner Fahrweise. Hier konnte ich mich mal richtig austoben, ohne andere zu gefährden. Das ständig durchdrehende Hinterrad warf wahlweise Schnee und Eisbrocken durch die Gegend und seitliches Ausbrechen oder gar halbe Drehungen des Gespannes steigerten den ohnehin aufregenden Fahrspaß zur totalen Gaudi. Wie bei vielen Fahrversuchen und Tests bewunderte ich die Drehzahlfestigkeit des Einzylinders. Trotz hoher Belastung überzeugte der stark gelagerte, kurzhubige Motor. (Voraussetzung ist natürlich der gute mechanische Zustand, beste Wartung und Pflege des Fahrzeugs.) Auf halber Höhe war die Paßstraße dann bereits geräumt und ich bewältigte problemlos den Tunnel samt Abfahrt auf der anderen Seite. In Chur wurde getankt, die stark gelängte Kette gespannt und geschmiert. 7,5 L bleifrei war der Verbrauch, bei meiner Drehorgie kein Wunder! Die zweite Kerze der Doppelzündung schien auch wieder zu zünden, denn die Leistung des Triebwerks ließ für Falconeverhältnisse nichts zu wünschen übrig. Das Wetter blieb stabil und so konnte ich zügig ohne weitere Probleme nach Bregenz durchstarten. Die deutsche Autobahn war trocken und fast leer, ich ließ der Guzzi freien Lauf und fuhr mit Dreiviertel- bis Vollgas bis nach Ulm. Hier gönnte ich uns eine Kaffeepause, bei der ich eine interessante Unterhaltung mit einem Ehepaar der Nachkriegsmotorradgeneration führte. Beide waren sehr von meinem Falcone-Gespann angetan und dachten wehmutig an die alten Zeiten zurück. Kurz vor Testende überprüfte ich nochmals Öl, Zündung und Luftdruck. Alles war in Ordnung und ich natürlich sehr zufrieden. Ohne Wind drehte der Motor mit dem 42er Kettenrad voll aus, und verlor auch an leichten Steigungen nicht viel an Geschwindigkeit. Einige kleine Änderungen am Fahrwerk und der Elektrik waren noch nötig, dann war nach meiner Meinung ein außergewöhnliches Gespannfahrzeug serienreif.

Servus Jürgen Lamprecht