Winterwunderland

Ich glaube ich habe es hier an gleicher Stelle bereits einmal erwähnt: „Ich liebe meinen Job!“, denn er führt mich in die entlegensten Winkel dieser Republik und erlaubt es mir auch mal links und rechts der Autobahn nach schönen Dingen zu schauen.

Diesmal hat mich die Reise nach Seefeld in Tirol geführt und nach langen Tagen mit vielen Besprechungen, war ich froh am Freitag wieder richtig Norden aufzubrechen und die 800 Kilometer bis nach Hause anzugehen. 

Wie immer hatte ich natürlich vorab in den gängigen Portalen nach interessanten Objekten unserer Lieblingsmarke, aber auch sonstiger italienischer Schönheiten geforscht und bin über mehrere Angebote eines Anbieters am Rande der schwäbischen Alb gestoßen. Balingen, Stefan Leibfritz, komisch, irgendetwas in mir regte sich und mir kam der Name so bekannt vor. Und siehe da, ja, es handelt sich um den mir seit Jahren durch diverse Berichte in den Magazinen bekannten Händler von italienischen Klassikern, Moto Stefano. Da wollte ich doch schon immer mal hin und jetzt ist die Gelegenheit.

Also flugs den Termin ausgemacht und gemütlich am Bodensee entlang in 4 Stunden bis nach Balingen gefahren. Lag ja fast auf dem Weg.

Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht, als mir Stefan freundlich die Tür öffnete und ich in die „heiligen“ Hallen eintreten durfte. Schon auf dem Weg zu den von mir ausgewählten Objekten der Begierde, kamen wir an wunderbaren Pretiosen der italienischen Ingenieurskunst vorbei. Eine Benelli 750 sei in Topzustand, Moto Guzzi Sport mit reichlich Lametta, schon fast überrestauriert, bis hin zu einer toll gemachten Guzzino. Diese hat sogar eine Doppel-Simplex-Vorderradbremse, zusammengeschweißt aus zwei Naben. Der große Zylinder und das silbern lackierte, sportliche Outfit, brachten meinen kleinen Mann im Ohr auf den Plan der flüsterte “Die musst Du kaufen!“. Ein Blick auf das Preisschild, lies aber gleich das Engelchen im anderen Ohr erklingen „Lass es, wie willst Du das bezahlen?“.

Hin- und hergerissen, habe ich dann zunächst wieder die angepeilten Objekte inspiziert, die neben so viel Schönheit auf einmal gar nicht mehr so toll aussahen. „Ja, sagte das Engelchen, aber die passen wenigstens in dein Budget.“ Der kleine Mann im Ohr schwieg erstmal, denn er weiß ja, welche Wirkung eine solche Ansammlung von seltenen und schönen Zweirädern bei mir auslöst. Die Zeit würde schon für ihn arbeiten, dachte er.

Jedenfalls war eine vernünftige und vor allem kritische Überprüfung deutlich erschwert, da der Blick geblendet und der Geist vom Benzindunst benebelt schien.

Jetzt viel der Blick auf etwas, noch nie Gesehenes, eine Bonvicini aus Bologna. Baujahr 1958 mit 125 Kubik und einem grandiosen kleinen Flieger, vorne auf dem Schutzblech. Und daneben, eine Moto Parilla mit liegendem Vergaser, da ein „normal“ stehender nicht unter den Tank gepasst hätte. Es gibt nichts, was es nicht gibt, würde der Rheinländer sagen. Der kleine Mann im Ohr forderte indes: „Kauf sie doch alle! Die sind so schön und so selten, die findest du sonst nie wieder.“

Eine leichte Schnappatmung setze ein und ich begann die erste Lebensversicherung im Geiste aufzulösen, als mich das Engelchen wieder zur Vernunft rief: „Denk an die Reisen, die du noch machen willst, da sind noch mehr Moppeds doch nur Ballast.“.

Stefano ließ es sich nicht anmerken, aber irgendwie hat er gespürt, dass sich in mir etwas regte und er öffnete die Tür zu einem weiteren Raum. Jetzt setzte mein Verstand kurzzeitig komplett aus, denn ich stand vor gefühlt 20 Airone und Falcone in allen Ausführungen und unterschiedlichstem Zustand. Teilweise sogar in mein Budget passend und schon verwarf ich den Kauf von zwei Kleinmotorrädern und dachte über ein Großes nach. Hatte das Engelchen doch gesagt, zu viel ist auch nicht gut. Reduziere die Anzahl, aber erhöhe die Qualität.

Und weiter geht die wilde Fahrt, als wir auf dem Weg zur „Werkstatt mit Aussicht“, an mehreren Rennmaschinen vorbeikommen. Eine Bianchi wurde von ihrem mittlerweile 86 jährigen Ex-Besitzer noch im letzten Jahr tausende Kilometer im Moto Giro d’Italia bewegt. Überhaupt, weiß Stefan trotz der Vielzahl der Exemplare, zu jedem Stück etwas zu erzählen und macht die Geschichte lebendig. Woher kommen die Teile? Wohin sind sie teilweise bereits verkauft? Was wurde daran bereits gemacht? Auf jede Frage gibt es eine kompetente Antwort und die Zeit verfliegt.

Das absolute Highlight ist der Leistungsprüfstand in Stefan’s Werkstatt. Hier misst er die Leistung aller Kräder, nachdem er sie aufbereitet und sauber eingestellt hat. Die gerade darauf stehende Airone bringt es auf 13 PS am Hinterrad und steht so gut im Futter, dass ich schon wieder beginne den Hausrat zu versetzen.

Also zurück zu Lodola und Gilera, die mich immer noch interessieren. Mit Engelchen hatte ich mich zwar darauf geeinigt, nur eine zu kaufen, aber als wir am großen Tor beide Motoren mit jeweils nur einem beherzten Kick zum Laufen bringen und der dumpfe Schlag der Einzylinder sich in mein Herz bohrt, höre ich den kleinen Mann nur triumphierend sagen: „Wusste ich‘s doch, dass du hier nicht nein sagen kannst.“

Das Ende vom Lied ist schnell erzählt, beide Maschinen sind auf dem Weg zu mir und die beste Ehefrau von allen hat es sogar abgesegnet. Wer hätte das gedacht…

Für jeden der mal in der Gegend ist, lasst euch die Gelegenheit nicht entgehen und stattet Stefan einen Besuch ab, aber nicht, ohne vorher die Stimmen in den Ohren abgestimmt zu haben.                                 Götz