Während der Clubausfahrt des Falcone Clubs nach Madello del Lario vor drei Jahren wurde an mich mehrfach der Wunsch herangetragen zu prüfen, ob ich nicht mal eine Ausfahrt in meine Wahlheimat an der Ardèche in Südfrankreich organisieren könne. Ich hatte meinen Clubkollegen immer wieder vorgeschwärmt, welche tolle Motorradstrecken die Schluchten und Pässe in den Cevennen rund um die Ardèche bieten und so vielfach den Wunsch geweckt, dieses Revier einmal selbst „unter die Räder zu nehmen“. Da meine Frau und ich seit mehr als zwanzig Jahren hier in Champelplot eine zweite Heimat gefunden haben, sind mir die kleinen Straßen und Sträßchen, die ungehinderten Fahrgenuss, gerade mit alten Motorrädern versprechen, wohlbekannt, und so habe ich angefangen eine Clubwoche hier zu planen. Es boten sich zwei Zeiträume an, in denen es noch nicht zu heiß ist, das Wetter einigermaßen stabil sonnig ist und in denen der pralle Tourismus in dieser Gegend noch nicht voll zuschlägt – Anfang Juni und Anfang September.
Es kam aber wie es kommen muss, wenn man ein neues Event vorschlägt: Prinzipielles Interesse ja, aber da ist doch dieses und jenes Treffen, das besucht werden muss, das ist ja zu nahe an der MiTa, für die wir dieses Jahr eine Zusage erhalten haben, da kann ich keinen Urlaub nehmen, da steht Pfingsten vor der Tür, da bin ich in Familie unterwegs. So oder so ähnlich kamen die Antworten auf meine erste Ausschreibung in der Falcone Post. Fast war ich geneigt, die Planungen zur Seite zu schieben, doch einige Freunde haben mit ermuntert nicht aufzugeben und das Projekt weiter zu verfolgen. Also neue Aufrufe in der Falcone Post und weitere Vorschläge. Letztendlich nach zwei Jahren habe ich einen Termin (erste Juniwoche 2019) festgelegt und gesagt, dass jeder der kommen will, herzlich willkommen ist, dass ich es aber nicht jedem recht machen kann und auch die potentiellen Teilnehmer eben Prioritäten setzen müssen, welche Veranstaltung sie besuchen wollen. Vom Platz her war es kein Problem, da wir in Champelplot öfters größere Gruppen zu Gast haben und wir insgesamt rd. 20 Personen beherbergen können. Falls die Gruppe größer werden würde, müssten auf einem nahe gelegenen Campingplatz zusätzlich Hütten angemietet werden. Letztendlich kamen 19 wackere Guzzisties zusammen, die hier eine Woche zusammen verbringen wollten. Teils in unseren Ferienwohnungen, teils mit dem Wohnmobil oder Wohnwagen, die auf dem großzügigen Gelände Platz fanden. Das Lagerleben konnte also beginnen.
Es war ausgemacht, dass wir abends zusammen kochen wollten, da wir so nicht mehr zu einem Restaurant fahren mussten und zum Essen auch die guten Weine der Region ausgiebig probieren konnten. Also wurde im Garten eine lange Tafel aufgebaut, an der gemeinsam das Frühstück und das Abendessen eingenommen wurde. Eine tägliche Fahrt zum Bäcker, zum Supermarkt und zur örtlichen Winzergenossenschaft war somit obligatorisch, ebenso zum Abfallcontainer, um das viele Leergut zu entsorgen. Alle brachten sich in irgendeiner Form für diese Arbeiten mit ein, so dass es keinem zu viel wurde. Wir hatten jede Menge Spaß und die Gemeinschaft wurde dadurch ungemein gestärkt. Irgendwie fühlten manche von uns sich in ihre Jugendzeit zurückversetzt, wo solch ein gemeinsames Lagerleben Gang und Gäbe war und wo „social media“ oder „smartphone“ noch Fremdwörter waren.
Nun ein Wort zu den Cevennen, unserem, den meisten unbekannten, Motorradrevier für die nächsten Tage:
„Die Cevennen oder seltener Sevennen sind der südöstlichste Teil des französischen Zentralmassivs. Karstgebirge mit engen, steilen Schluchten und Hochebenen prägen die Landschaft. Montane und mediterrane Flora und Fauna gehen ineinander über.“
So ist es in Wikipedia nachzulesen. Sie sind sehr dünn besiedelt und zählen zu den ärmeren Regionen in Frankreich. Wenig bis gar keine Industrie, schlechte Verkehrsanbindungen, ein wenig Landwirtschaft, Weinbau, ein wenig Viehzucht und vor allem ein sanfter Tourismus ernähren die Menschen in dieser Region. Auf den Hochebenen weiden Ziegen und Schafe aus deren Milch hervorragender Käse hergestellt wird. Ein Großteil der Zentralcevennen ist ein Naturpark in dem auch immer mehr Wölfe sich breit machen und den Viehzüchtern das Leben erschweren. Durchzogen ist das Gebirge, dessen höchste Erhebung der Mont Lozère mit 1.699m ist, von kleinen Straßen mit durchgehend gutem und griffigen Straßenbelag. Schlaglöcher und Verwerfungen auf den Straßen, die auf der einen oder anderen Etappe bei der MiTa so manches Vorder- oder Hinterrad geknackt haben, wird man hier nicht finden. Außerhalb der Hochsaison im Juli und August ist der Verkehr auf den Straßen recht dünn. Außerdem wird man hier die Reichen, die Schönen und die ganz schön Reichen, die mit ihren Protzkarossen die Côte Azur unsicher machen nicht finden. Dafür ist die Gegend zu einsam, es gibt zu wenig oder gar keine entsprechende Infrastruktur und auch an ansprechender Gastronomie oder Hotellerie haben die Cevennen wenig vorzuweisen. Eher eine Gegend für Naturliebhaber, Kletterer, Wanderer, Kanufahrer, Mountainbiker und eben auch für uns als Motorradfahrer. Die Cevennenküche ist von regionalen Gerichten und Produkten, wie z.B. besten Lammfleisch, leckeren Käse etc. geprägt. Außerdem ist hier im südlichen Teil die Esskastanie heimisch, von deren Früchten sich früher die Leute überwiegend ernährten. Das „Brot der einfachen Leute“ sozusagen. Auch heute noch sind die Maronen in vielen regionalen Rezepten zu finden.
Die Menschen in den Cevennen sind meist still und zurückhaltend. Sie sind aber auch freundlich und hilfsbereit, wenn man mit ihnen erst einmal etwas ins Gespräch gekommen ist. Sie sind aber auch sehr freiheitsliebend und wenig obrigkeitshörig. In den Cevennen versteckten sich in früheren Zeiten die Protestanten und Hugenotten vor der katholischen Obrigkeit und auch im zweiten Weltkrieg waren die Cevennen ein Zentrum des französischen Widerstands. Viele Juden wurden hier versteckt und so vor der Deportation und Ermordung bewahrt.
Diese wunderbare Kulturlandschaft mit unseren alten Mopedle zu erkunden, das war für uns die Herausforderung der nächsten Tage. Um es vorwegzunehmen, es waren tollen Touren, die wir tagsüber abspulten. Sei es an der großen Ardècheschlucht entlang, über hohe Pässe und tiefe Täler, bis hin zu den Vulkankegeln im Norden an der Quelle der Loire. Teilweise hatten wir Mittagessen in einer der zahlreichen Auberges. Gute, preiswerte und ausreichende Hausmannskost. Wem es da nicht schmeckte und wer da nicht satt wurde, dem war nicht mehr zu helfen. Da hier im Süden zum Mittagessen fast auch immer ein Gläschen Rosé dazugehört, fiel es uns schwer nach einem Glas an die Heimfahrt zu denken. Aber die Disziplin in der Gruppe war supergut und es machte richtig Spaß und Freude vorwegzufahren und 13 oder 14 Oldtimer im Schlepptau zu haben. Die Fahrer, der älteste war 76 Jahre alt, hielten alle wunderbar durch, und ich hatte den Eindruck, dass der eine oder andere auch mehr Strecke vertragen hätte, als die Tagesetappen von 150km bis 200km. Die Motorräder, die älteste Maschine hatte die siebzig auch schon weit überschritten, hielten ebenso tapfer durch. Kleinere Blessuren wurden direkt vor Ort oder während der abendlichen Bastelstunde behoben. Nur eine Falcone ließ sich mit einem Kipphebelbruch nicht mehr weiterbewegen. Da musste der Besenwagen ran.
So haben wir in dieser Woche rd. 800Km mehr oder weniger problemfrei abgespult und einen Rießenspass am Motorradfahren gehabt. Im Vorfeld der Fahrt hatte ich von jedem Teilnehmer 30,00 € pro Tag und Person für Verpflegung und Getränke eingesammelt. Am Ende der Tour war noch Geld übrig, obwohl wir ordentlich gegessen und getrunken haben und auch mehrere Besuche in einem Restaurant dadurch abgedeckt wurden. Für alle also ein recht preiswertes Vergnügen. Als ich am Ende jedem Teilnehmer den Restbetrag auszahlen wollte, hat die Gruppe spontan entschieden, mir das Geld für meine Projekte für tibetische Flüchtlinge im indischen Himalaja zu überlassen. Meine Frau und ich betreuen nun schon seit mehr als dreißig Jahren im Rahmen eines Vereins Projekte für tibetische Flüchtlinge im nordindischen Mussoorie. Ich habe den Betrag noch ein wenig aufgerundet und an unsere tibetische Partnerorganisation überwiesen, die mit dem Geld dringende Renovierungsarbeiten in einem Altenheim durchführen kann. Dafür nochmal an alle Spender unseren herzlichen Dank.
Was bleibt als Fazit hängen? Der Spaßfaktor war recht hoch. Meiner Frau und mir hat es gefallen, so eine nette Gruppe bei uns in Champelplot gehabt zu haben und ihnen ein wenig Land und Leute an der Ardèche im Süden Frankreichs näher gebracht zu haben. Die Reaktionen der Teilnehmer waren ausschließlich positiv und es wurde einhellig der Wunsch geäußert, diese Woche zu wiederholen. Mal sehen, nach der Tour ist ja bekanntlich vor der Tour. Ich könnte mir schon vorstellen nächstes oder übernächstes Jahr so eine Woche an der Ardèche wieder auszuschreiben. Denn es gäbe hier noch so viel zu erleben und zu entdecken.
Nein, es muss nicht immer Italien sein – auch nicht mit einem italienischen Oldtimer.
Ciao Ragazzi
Euer Volker
www.champelplot-international.de