Reise mit zwei Nuovo Falcone Gespannen in die Türkei – Teil 2

Dieser Bericht über eine Reise mit zwei Gespannen Nuovo Falcone plus Steib S250 (einmal Transportkiste) erschien in der Falcone-Post von Ausgabe 1/92 bis 1/95. In erster Linie habe ich das damals geschrieben, damit überhaupt etwas in der Falcone-Post stand.

Insgesamt umfasste die Geschichte in Fortsetzungen zehn Teile. Der Reisebericht beginnt mit Teil fünf.

Die Reise in die Türkei war im Sommer 1982. Das war das Jahr, in dem Helmut Kohl Bundeskanzler wurde und Leonid Breschnew starb.

Harald Stränz

Aber mitten in der Nacht glaubten wir dann doch an Probleme. Es war ungefähr halb drei, als wir von lauten Gesprächen geweckt wurden. Ganz vorsichtig schauten wir aus dem Fenster, vor dem die beiden Gespanne und die Vespa standen. Sie waren umringt von ungefähr 30 Männern. Es gab natürlich keine Probleme. Auf der Straße stand ein Bus – die Insassen vertraten sich nur ein wenig die Beine und Falcone-Gespanne hatten sie halt noch nie gesehen.

Als es dann hell wurde, weckte uns der Chef. Das Wetter hatte sich wieder beruhigt. Keine Wolke am Himmel. Nach einem kargen Frühstück mit extrem starkem Kaffee, nach einigen Abschiedsfotos und dem Versprechen mal wieder vorbeizukommen machten wir uns wieder auf den Weg nach Süden.

Mit 2 PS unterwegs

Die nächste größere Stadt am Weg war Skopje. Eine Stadt mit einer wahnsinnigen Atmosphäre: modern europäisch auf der einen Seite und auf der anderen orientalisch mittelalterlich. Frauen in superkurzen Minis und tiefverschleierte mit bodenlangen Gewändern. Managertypen im dunkelblauen Nadelstreifenzweireiher und völlig zerlumpte gebeugte Lastenträger, die nie wieder in ihrem Leben werden aufrecht gehen können. Auf den Straßen Luxuslimousinen, alte Jawas und Eselkarren. Eine Stadt der Gegensätze. Aber eine gute Vorbereitung auf das, was wir noch erleben sollten.

Die Oper von Skopie

Und dann weiter nach Südosten. Es wurde immer wärmer. Die Landschaft bekam langsam den Charakter einer Steppe. In weiten Senken aber blühten Millionen von Sonnenblumen – ein phantastischer Anblick.

Dann die Grenze nach Griechenland. Das war nicht anders als an der Grenze Deutschland – Dänemark. Stempel in den Pass: Die Sache war erledigt.

Und hier standen auch die ersten Schilder, die auf Thessaloniki hinwiesen. Und da hat Marlen irgendwas in den falschen Hals gekriegt mit der Endung -niki. Dieses -niki hatte bei ihr den Eindruck eines kleinen verträumten griechischen Fischerdorfes mit weißen Häuschen und kleinen Booten erweckt. Auf die Idee, daß Thessaloniki die zweitgrößte griechische Stadt und die größte Industriestadt Griechenlands ist, ist sie gar nicht erst gekommen. Wir fuhren dann fast nur noch durch verbranntes Land. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel. Als es Abend wurde, hielt ich nach einem Campingplatz am Wege Ausschau, aber Marlen gab immer wieder Zeichen: weiter, weiter. Sie wollte nach Thessaloniki!

Orthodoxe Kirche Saint Pavlo in Thessaloniki

Gegen 22.00 Uhr kamen wir dort an. Auf den Straßen war alles, was Räder hatte, unterwegs. Insbesondere Jugendliche in abenteuerlichen Gefährten machten die Straßen unsicher. Sie hielten Ausschau nach Mädchen in ihrem Alter, die über die Bürgersteige flanierten Das wichtigste Mittel zur Kontaktaufnahme war dabei die Hupe. Um die zwei Gespanne aus Deutschland haben sich die griechischen Papagalli überhaupt nicht gekümmert. Mehr als einmal wurden wir ausgebremst, abgedrängt und in wirklich gefährliche Situationen gebracht Und in dem Gewühl sollte man sich auch noch orientieren und einen Platz für die Nacht finden. Außerdem konnte man keinen Blick von der Straße wenden Auf vierspurigen Straßen bewegten sich die Autos in Sechserreihen Und dann die Schlaglöcher. Ein 18-Zoll-Rad passte fast bis zur Steckachse hinein.

Endlich ein Schild mit der Aufschrift Camping. Aber der Platz war voll. Es wurde uns aber ein anderer Platz empfohlen Noch mal 50 Kilometer. Und Marlen war fix und fertig. Kupplung ziehen: nur noch mit dem ganzen Arm. Und den Gasgriff konnte sie auch nur noch mit Mühe festhalten. Aber wir haben es dann doch noch geschafft.

Der Platz war erst im Frühjahr eröffnet worden und war einfach fantastisch gut – zudem war er fast leer und völlig ruhig. Und er lag am Wasser. Genau das, was wir brauchten. Das Zelt haben wir nicht mehr aufgebaut. Wir waren schließlich 16 Stunden fast nur gefahren.

Die Sonnenuntergänge waren der „Hammer“

Erst am nächsten Tag haben wir gemerkt, daß wir in einem kleinen Paradies gelandet waren. Die Stellplätze waren mit blühenden Oleanderhecken voneinander abgegrenzt. Die Luft war fast zum Greifen mit dem Duft der Blüten gesättigt. Ein großartiges Restaurant bot alles, was das Herz begehrte. Das Meer war nah und warm. Und nicht zu vergessen die Duschen und die sonstigen sanitären Einrichtungen – nagelneu und immer blitzsauber. Wir sind drei Tage geblieben und haben uns richtig erholt.

Viel mehr gibt es von Griechenland nicht zu berichten. Es war für uns nur Transitland. Eine Übernachtung noch in Alexandropoulos. Und dann hatten wir auch schon zumindest unser Zielland erreicht.

An der Grenze hat’s ein wenig gedauert. Auf der griechischen Seite. Bei den Türken war’s irgendwie anders. Das erste, was auffiel, war die Höflichkeit. Und eine so natürliche Freundlichkeit – die uns dann die ganze Zeit in der Türkei begleitet hat. Wir fühlten uns nicht nur als Gäste, sondern als lange vermisste Freunde, die endlich zurückkommen.

Vor unserer Abfahrt aus Deutschland hatte man uns gewarnt vor betrügerischen Tankwarten, vor Rauschgiftschmugglern, vor Hitzköpfen mit flinken Messern, vor geschickten Taschendieben und allerlei Gesindel mit dunklen Augen und schwarzen Haaren.

Dann wurde es irgendwann Zeit zu tanken Und was passierte? Die Tanksäulenanzeige wurde auf Null gestellt. Und wir durften nicht bei den Motorrädern bleiben, denn die standen in der Sonne. Aber im Schatten stand ein Bänkchen, dort sollten wir sitzen. Tee wurde gereicht – und die unvermeidlichen Zigaretten. Immer gibt es Türken, die Deutsch sprechen. Und immer wird gefragt nach dem Woher und dem Wohin. Und immer wurden wir eingeladen zu bleiben, abends zum Essen zu kommen und zu reden. So war es nicht nur an der ersten Tankstelle. Auf der Rückfahrt war es nicht anders. Ich kann nichts Negatives berichten, nichts Neutrales – nur Positives. Selbstverständlich war die Rechnung an der Tankstelle in Ordnung. Selbstverständlich wurden die Windschutzscheiben und Scheinwerfer von Insektenleichen befreit. Und auch nach dem Reifendruck wurde selbstverständlich gefragt.

Und dann denkt man manchmal daran, was den Türken in Deutschland widerfährt, und man schämt sich ein wenig für das „Türken raus“ und die „Kanaken“. Aber ich habe auch von keinem Türken etwas Schlechtes über Deutschland gehört. Sie sind einfach zu höflich, dem Gast etwas Unfreundliches zu sagen.

Edirne Selimiye Moschee

So wird jede Tankpause zu einem kleinen Extra-Urlaub mit unterschiedlichen Erlebnissen. Aber dann ging’s weiter nach Istanbul. Irgendwann waren wir auf der Hauptstraße, die Edirne und Istanbul verbindet Der Straßenverkehr war genauso, wie man ihn sich für den Orient vorstellt. Es war alles unterwegs, was Räder hat. Jede Menge Busse, denn der Personenverkehr läuft über die Straße, die Eisenbahn dient in erster Linie dem Güterverkehr. Trotzdem gibt es jede Menge LKWs, die wohl mit Schweröl oder Rüböl oder was weiß ich betrieben werden. Was da aus den Auspuffrohren geblasen wird, ist unbeschreiblich schwarz und übelriechend. Aber auch Pferdegespanne, Eselkarren, Handwagen und Fußgänger sind auf den Überlandstraßen unterwegs.

Für das Gaspedal gibt es nur zwei Stellungen: Leerlauf oder Vollgas. Meistens Vollgas. Das gilt ganz besonders für die Busfahrer. Ihre Art am Lenkrad zu sitzen, war fast immer die gleiche: der linke Arm hängt lässig aus dem Fenster, das Lenkrad wird mit Daumen und Ringfinger geführt, zwischen Zeige- und Mittelfinger wird die Zigarette gehalten, und der kleine Finger betätigt die Lichthupe. Und das tut er oft. Die Straße war vierspurig, aber nur die mittleren Spuren sind asphaltiert. Rechts ist die Spur jeweils nur ein Sand- und Schotterstreifen, auf dem sich alles bewegt, was bis zwei Pferdestärken (im wahrsten Sinne des Wortes) hat. Und dann noch alles, was durch die Lichthupe der überholenden Busse höflich, aber bestimmt dazu aufgefordert wird, doch den Seitenstreifen zu benutzen. Die Busfahrer heben dann entschuldigend die Hand, wenn sie sich beim Überholen mal verschätzen und einen in den Sand zwingen.

Kurz vor Istanbul wird die Straße dann zu einer richtigen sechsspurigen Autobahn, sogar mit Standstreifen. Aber auch das will nichts heißen. Es ging bergab, die Guzzi-Gespanne marschierten sehr gut, so um die 110 Sachen. Doch dann war die Bahn auf einmal ziemlich dicht, denn auf den beiden rechten Fahrstreifen hatte sich eine Schafherde zum Sonnen gelegt. Aber dieses Problem wurde auf die elegante türkische Art gelöst. Alle auf der rechten Spur fädelten sich auf einen schmalen freien Streifen auf der Standspur ein – alle anderen führten in perfekter Weise vor, wie das Reißverschlusssystem wirklich funktionieren kann. Und wir mitten drin. Ich glaube, wir brauchten nicht mal vom Gas zu gehen.

Istanbul Galata Turm

Wir haben dann, als wir den Stadtrand von Istanbul erreicht hatten, nicht den Fehler gemacht, ins Zentrum zu fahren, sondern sind in einem Vorort direkt am Meer geblieben. Dieser Vorort heißt Yesilyurt, und dort gibt es einen Campingplatz. Es war der schönste Platz auf der ganzen Reise. Alles schon ein bisschen älter, aber gerade das schafft den Reiz dieses Platzes.

Aber alles der Reihe nach. Allein der Empfang. Im Grand-Hotel ist es nicht besser. „Bitte nehmen Sie Platz.“ Man muss nicht am Tresen stehen, bis die Anmeldeformulare ausgefüllt sind. Tee und Gebäck sind selbstverständlich. Und dann kommt jemand mit, um einen Platz zuzuweisen. „Wenn Sie sich vormittags hier auf dem Platz aufhalten wollen, sollten Sie hier Ihr Zelt aufstellen; dann haben Sie Schatten. Sonst ist es hier besser.“ Und so ging es weiter. Jede Einrichtung wurde gezeigt und kommentiert. Besser kann es nicht sein.

Und dann gehörte zum Campingplatz ein Gartenlokal, in dem es sich ohne weiteres zwei Wochen und länger aushalten ließe. Über 100 Jahre alte Ulmen bildeten ein grünes Dach, unter dem es auch bei den meist herrschenden 40 Grad angenehm kühl war. Und es gab kellerkaltes Efes Pilsener, Eis, frische Salate und andere köstliche Kleinigkeiten. Zum Meer waren es fünf Minuten.

In der Nähe war ein Restaurant, dessen Küche zeigte, dass die Türken das, was in Europa in den letzten Jahren als „Nouvelle Cuisine“ gefeiert wurde, schon seit langen Jahren beherrschen. Wenn man sich selbst versorgen wollte, war auch das kein Problem. So was wie ein Ladenschlussgesetz gibt es natürlich nicht, und Brot wird fast rund um die Uhr gebacken. Und was für Brot!

Nach Istanbul fuhr ein Vorortzug, hin und zurück für 30 Pfennig – für zwei Personen. Nach zwanzig Minuten war man in der Stadt am goldenen Horn.

Ich bin schon in vielen Städten gewesen. Meine persönliche Hitliste: Istanbul, Kairo und die Altstadt von Jerusalem. Noch schöner soll Damaskus sein – vielleicht schaffen wir das auch noch mal. Wie man sieht, alles Städte im Orient. Und was diese Städte so anziehend macht, sind für mich immer wieder die Menschen und ihre Gastfreundschaft.

Drei Tage haben wir die Stadt genossen. Wir haben uns die Füße wund gelaufen und die Augen aus dem Kopf geguckt. Man konnte diese Masse an Eindrücken kaum verarbeiten. Istanbul ist einfach eine Reise wert.

Istanbul – Die Brücke nach Asien

Dann ging es weiter Richtung Dadagi. Die Brücke über den Bosporus brachte uns nach Asien. Europa lag hinter uns – nur noch im Rückspiegel zu sehen. Das Tagesziel hieß Ankara, Hauptstadt der Türkei. Aber das ist so ähnlich wie etwa das Verhältnis von Frankfurt zu Bonn.

Ein paar Kilometer vor Ankara gab’s einen Campingplatz – aber der war geschlossen. Eigentlich. Der Platz gehörte zu einer Tankstelle, und der Tankstellenchef war auch Verwalter des Platzes. Er empfahl uns einen anderen Platz, der etwa 70 Kilometer hinter Ankara lag. Aber es sei auch kein Problem, die Duschen in Gang zu setzen, den Swimmingpool zu füllen, den Platz zu öffnen. Es war noch relativ früh am Nachmittag und wir entschlossen uns deshalb, den nächsten Campingplatz aufzusuchen. Aber die Frau des Tankwarts, die sich inzwischen zu uns gesellt hatte, wollte das nicht zulassen. Wir sollten bleiben. Sie würde sich um unser Wohl kümmern.

Dass dann alles ganz anders kam, lag an unseren Gespannen und an Fikret Bayhan. Diesen Namen konnten wir ihm aber erst am nächsten Tag zuordnen, erst einmal war er nur einer von vielen freundlichen Türken. Fikret war mit seiner Peugeot 104, einem 50er Moped, an der Tankstelle erschienen und hatte seitdem keinen Blick mehr von den zwei Gespannen gelassen. Fikret ist nie in Deutschland gewesen. Er stammte aus Anatolien und lebte in Ankara. Er sprach kein Wort Deutsch, verstand es aber trotzdem, seiner Begeisterung für die beiden Gespanne Ausdruck zu geben. Der Tankwart machte, soweit es möglich war, den Dolmetscher.

Fikret Bayhan

Dann kam, für uns völlig überraschend, Fikrets Einladung. Bis der Platz hergerichtet sei, würde ja noch etwas Zeit vergehen. Und die sollten wir nutzen, um mit Fikret nach Ankara zum Essen zu fahren. Wir nahmen die Einladung an. Wir hatten Zeit, und eine Ablehnung wäre nicht nur unhöflich, es wäre eine Beleidigung gewesen.

So tuckerten dann zwei Gespanne gen Ankara, begleitet von einer Peugeot 104 mit einem Türken, der vor Begeisterung fast ausflippte. Als er zum ersten Mal das Auspuffgeräusch hörte, zog ein breites Grinsen auf sein ohnehin nicht faltenarmes Gesicht. In dem Moment gab es wohl nicht einen einzigen faltenfreien Quadratzentimeter auf seiner braungebrannten Haut. Immer wieder mussten wir ihn überholen, damit er die Motoren hören konnte.

Das Moped – Peugeot 104

So ganz wohl war mir bei der ganzen Sache aber nicht. Wie kam dieser Mann dazu, zwei wildfremde Menschen, die er erst eine halbe Stunde kannte, zum Essen einzuladen? Hatte er irgend etwas im Sinn? Ich wusste nicht so recht, was das zu bedeuten hatte.

Bald schon waren wir in Ankara. Fikret hielt an, stellte sein Moped ab, gab uns Zeichen, einen Moment zu warten, und lief über die Straße zu einem Restaurant. Schnell war er zurück, machte eine Geste des Bedauerns. Weiter ging die Fahrt. Richtung Zentrum. Nach zwei, drei Kilometern wiederholte sich die ganze Geschichte. Wieder ein Restaurant – aber zu essen gab’s nichts.

Teestube

Und wir fuhren immer weiter. Jetzt gab es keine Pause mehr. Wohin wollte der denn eigentlich noch? An einer Ampel mussten wir anhalten. Ich fuhr neben Marlens Gespann und sagte ihr; „Wenn das noch lange so weitergeht, hau‘ ich ab. Du bleibst dann an mir dran! Der Typ wird mir langsam unheimlich mit seinem ewigen Grinsen.“ Die Ampel sprang auf Grün, Marlen hatte keine Zeit mehr zu antworten. Sie zuckte nur ratlos mit den Schultern. Bald waren wir im Zentrum Ankaras, das Verkehrsgewühl einer Großstadt umgab uns. Trotzdem hatten wir keine Mühe zusammenzubleiben. Alle erkannten schnell, dass das Moped und die beiden Gespanne zusammengehörten. Niemand drängelte sich dazwischen – selbst die Busfahrer nahmen Rücksicht auf uns. So langsam fing die Sache an, Spaß zu machen. Nun wollte ich wissen, was das Ganze sollte.

Inzwischen hatten wir an die dreißig Kilometer zurückgelegt. Immer noch waren wir in Ankara. Nun aber ging es in recht merkwürdige Gegenden: Schrottplätze, Bretterbuden und zerfallende Industriegebäude bildeten die Kulisse. Und Fikret hielt an. Wir sollten warten. Er lief zu einer Wellblechhütte, die alles andere als vertrauenerweckend aussah – und auch die Männer, die davorsaßen: Gentlemen waren das anscheinend nicht.

Und weiter ging die Fahrt. Nach 40 Kilometern waren wir in einem reinen Wohngebiet angekommen – unsere rätselhafte Fahrt ging zu Ende. Fikret bat uns ins Haus und führte uns in die „gute Stube“. Das Zimmer war weitestgehend europäisch eingerichtet. An den Wänden standen sich zwei Sofas gegenüber. An den Wänden Mustertapeten, wie sie bei uns in den fünfziger Jahren mal modern waren. Und dazu jede Menge Teppiche: an den Wänden, auf dem Fußboden, auf den Rückenlehnen der Sofas. Ausgesprochen schöne Stücke waren dabei, aber auch einige Scheußlichkeiten in grellbunten Farben aus industrieller Fertigung. Fikret ließ uns allein.

Der Dolmetscher – Unsere Rettung

Da saßen wir nun wie die Loreley: „Ich weiß nicht, was soll das bedeuten?“ Dann betrat eine ältere Dame den Raum, die uns herzlich begrüßte. Sie konnte ein englisches Wort: „Welcome.“ Es war ehrlich gemeint. Wir waren willkommen. Sie nahm auf dem Sofa uns gegenüber Platz und lächelte uns zu. Bald darauf erschienen die nächsten Personen: ein älterer Herr, eine junge Frau, drei Kinder. Noch eine Frau mittleren Alters in Begleitung von Fikret. Alle begrüßten uns und setzten sich uns gegenüber. In zwei Reihen. Eine auf dem Sofa, die andere auf dem Fußboden davor. Es wurde viel geredet, viel gelacht und noch mehr gelächelt. Marlen und ich lächelten zurück. Ich glaube, es hat nicht besonders echt ausgesehen – erstens fühlten wir uns doch nicht ganz wohl in unserer Haut, zweitens merkten wir so langsam jeden Muskel im Gesicht. Ich hatte nie geahnt, dass Lächeln so anstrengend sein konnte.

Wir hatten keine Ahnung, wie das weitergehen sollte. Wir sprachen kein Türkisch, die Türken sprachen nur Türkisch. Aber dann kam die Erlösung. Ein etwa dreißig Jahre alter Mann stellte sich uns vor. Er sprach fließend deutsch.

Als erstes erläuterte er uns Fikrets Irrfahrt: es war ganz einfach eine Stadtrundfahrt. Dass es mit dem Essengehen nicht geklappt hatte, hatte einen simplen Grund. Die Lokale, die Fikret kannte, öffneten erst am Abend. Und in der Wellblechhütte arbeitete der Bruder von Fikret, den er für den Abend anlässlich unseres Besuches eingeladen hatte. Das ging nur persönlich, denn Telefon gibt’s in dem Viertel von Ankara noch nicht. Er selbst war Lehrer und unterrichtete unter anderem Deutsch.

Und endlich konnte Fikret seiner Begeisterung für die beiden Gespanne auch in Worten Ausdruck geben. Ich bin ja schon ein großer Fan der Nuovo Falcone – der größte Fan aber lebt in Ankara und heißt Fikret Bayhan.

Dann verließen alle Frauen den Raum – bis auf Marlen – als Gast durfte sie zusammen mit den Männern essen. Es dauerte nicht lange, und die ersten Köstlichkeiten wurden aufgetragen. Dann ging es Schlag auf Schlag. Alles, was die türkische Küche zu bieten hat, und das ist eine ganze Menge, wurde aufgetragen. Wir haben natürlich gefragt, warum die Frauen nicht mit uns zusammen äßen. Die Antwort war ganz einfach: „Das ist bei uns so Sitte aus einer langen Tradition.“ Wir haben das so akzeptiert.

Gemeinsames Abendessen

Es ist übrigens keine Unhöflichkeit, wenn man den Tisch verlässt, sobald man satt ist. Ganz im Gegenteil. So müssen die Frauen in der Küche nicht so lange warten, bis sie essen können.

Zum Tee, der anschließend getrunken wurde, war wieder die ganze Familie „in der guten Stube“ versammelt. Und nun bekam der Dolmetscher richtig gut zu tun. Wir wurden mit Fragen über Deutschland bombardiert und alle wollten immer wieder wissen, wie es uns denn in der Türkei gefalle.

Unsere Gastgeber stellten Fragen, wie sie bei uns nur Kinder stellen. Völlig ungeniert und im wahrsten Sinne des Wortes neugierig. Nach der „Fragestunde“ gab’s noch eine Stadtrundfahrt – mit dem Auto. Zu den Sehenswürdigkeiten, die wir noch nicht kannten. Es dauerte nicht lange, unsere Durchschnittsgeschwindigkeit in der nächtlichen Stadt lag wohl so bei 80 km/h. Marlen war hinterher schlecht.

Für die Übernachtung stand uns eine ganze Wohnung zur Verfügung, die Großmutter zog für die Nacht zu ihren Kindern. Am nächsten Tag haben wir Fikret in seiner Teestube besucht und gegen Mittag brachen wir auf – es lag nur noch die letzte Etappe vor uns.