Dieser Bericht über eine Reise mit zwei Gespannen Nuovo Falcone plus Steib S250 (einmal Transportkiste) erschien in der Falcone-Post von Ausgabe 1/92 bis 1/95. In erster Linie habe ich das damals geschrieben, damit überhaupt etwas in der Falcone-Post stand.
Insgesamt umfasste die Geschichte in Fortsetzungen zehn Teile. Der Reisebericht beginnt mit Teil fünf.
Die Reise in die Türkei war im Sommer 1982. Das war das Jahr, in dem Helmut Kohl Bundeskanzler wurde und Leonid Breschnew starb.
Harald Stränz
Von Rijeka nach Mestre war es eine Fahrt ohne besondere Vorkommnisse. Besonders schön war es aber, wieder einmal in der Heimat der Falcones zu sein. Wobei es für so manchen Italiener mit dem man mal während einer Pause ins Gespräch kam, einfach unverständlich war, dass es Nuovo Falcones mit Seitenwagen gibt, die Tausende von Kilometern laufen und laufen und laufen. Dann in Mestre vor den Toren Venedigs das Zelt aufgebaut. Die Falcones hatten drei Tage Ruhe. Drei Tage, in denen wir durch Venedig gebummelt sind, italienische Speisen und Getränke genossen haben. Erst hier haben wir ganz deutlich gemerkt, dass wir wieder in Mitteleuropa waren. Nur hin und wieder gab es Parallelen zum Orient in dieser Stadt, die mit soviel Charme und Anmut verfällt, wie es an manchen Stellen auch in Istanbul zu sehen war.
Die erste Nacht auf dem Zeltplatz werden wir wohl nie vergessen. Sturm und Regen mit einer Gewalt, die wir noch nicht kannten. Unter unserem Zeltboden strömte das Wasser bald zehn Zentimeter hoch hindurch. Zwischen den Luftmatratzen wölbte sich der Zeltboden richtig nach oben. Aber es blieb alles dicht. Und um uns herum standen große alte Pappeln, die ja nicht gerade zu den standfestesten Bäumen gehören. Am nächsten Morgen, nach einer Nacht, in der man kaum ein Auge zukriegte, sahen wir dann die Bescherung, die alle anderen bös getroffen hatte. Von den ca. dreißig Zelten, die abends noch vorhanden waren, stand nur noch ein einziges. Unseres. In den Pappeln hingen bis in 15 Meter Höhe bunte Fetzen. Kahle verbogene Zeltstangengerippe boten einen traurigen Anblick. Überall Menschen mit verzweifelten Gesichtern, die ihre Habseligkeiten auf dem Platz zusammensuchten. Gegen Mittag waren wir dann alleine auf dem riesigen Platz. Für die anderen war der Urlaub wohl zu Ende. Die Sonne schien, als wenn nichts gewesen wäre.
Und zwei Tage später machten auch wir uns auf den Weg. Nächstes Ziel: Mandello del Lario.
Wunderbares Wetter, wunderbare Straßen, wunderbare Fahrt. Wir kamen abends in Abbadia, südlich von Mandello, an. Der Campingplatz war uns vertraut, und wir fühlten uns fast schon wie zu Hause. Am nächsten Vormittag wurden die Guzzi-Händler abgeklappert und ein paar Kleinigkeiten, die zum Falcone-Leben gehören, eingekauft. Dann haben wir Rudolfo besucht, einen Gärtner aus Mandello. den wir ein paar Jahre zuvor kennengelernt hatten. Am Nachmittag fuhren wir mit ihm zu einem Bauernhof, der hoch über dem See liegt. Auf der Terrasse des Hauses genossen wir die milde Abendsonne bei selbstgekeltertem Wein, frischem Weißbrot und einem traumhaften Blick über den Lago di Como. So ähnlich muss es im Paradies sein – wenn überhaupt.
Doch in der folgenden Nacht sollten wir noch einmal erfahren, wie Gewitter toben können. Wieder eine Nacht, in der an Schlaf nicht zu denken war. Nur der Wind war etwas gnädiger und ließ die Zelte stehen. Am frühen Morgen war der ganze Zauber schlagartig zu Ende, und die Sonne lachte wieder von einem wolkenlosen Himmel. Nur eine riesige gelbe Schlammfahne, die sich weit in den See hinauszog, zeigte, welche Wassermassen nachts von den Bergen durch den kleinen Bach neben dem Campingplatz. in den See geflossen waren
Ein paar Tage sind wir am See geblieben, haben mit einem Freund von Rudolfo gefischt und am Abend einen Teil unserer Beute frisch gegrillt verzehrt. So langsam verschwanden die Spuren der Strapazen, die wir in den ersten Tagen doch noch in den Knochen verspürt hatten.
Doch wir mussten leider weiter. Auch sechs Wochen Urlaub sind mal rum. Den Sprung über die Alpen, Passo die Spluga, kannten wir schon. Doch noch nie vorher haben wir so gefroren. Wir fuhren nach der anatolischen Gluthitze nun an meterhohen Schneewänden entlang. Und auch später, als wir längst die eisigen Höhen hinter uns gelassen hatten, hörte das Frieren nicht auf. Bei jeder Pause zogen wir uns noch ein Hemd unter den Pullover, und als wir mit Lindau am Bodensee unser nächstes Ziel erreicht hatten, trugen wir fast alles, was wir an Klamotten mithatten, am Leib. Doch der See war noch herrlich warm, die Luft mild und nach einem deftigen Abendessen hörte das Zittern auf.
Eine Nacht Pause nur, weiter ging’s. So gegen neun Uhr sind wir losgefahren Richtung Ulm und dann nach Würzburg. Dann haben wir die A7 unter die Räder genommen, von Zeit zu Zeit getankt, hier und da einen Kaffee getrunken, eine Kleinigkeit gegessen, jeden Kilometer gezählt und morgens gegen halb vier waren wir mit plattgesessenem Hintern, lahmen Armen, schmerzenden Händen und übermüdeten roten Augen endlich, endlich wieder zu Hause.
Ach so, die beiden Falcones haben die fast 500 km Vollgas auf der Autobahn völlig klaglos mitgemacht. Wie alles auf den mehr als 9000 km in den sechs Wochen. Übrigens ohne Ölfilter, mit den Original-Ventilen, ohne verstärkte Speichen. Schlicht und einfach so, wie das Werk sie geliefert hatte.
300 km später ist mir allerdings das Auslassventil abgerissen. Aber das kannte ich ja schon.
Und heute, ein paar Jahre später laufen die Gespanne immer noch. Und sie werden es morgen und übermorgen auch noch tun. Da bin ich mir ganz sicher.
Es sei denn, dass im Zuge der „europäischen Harmonisierung“ so viel Harmonie auf den Straßen verbreitet wird, dass für solche urtümlichen Eisenhaufen wie die Nuovo Falcone kein Platz mehr ist.