100 Jahre G.P. – Die Geschichte der Guzzi Parodi

Prologo

Wir schreiben das Jahr 2019. Fast unbemerkt zieht dieses Jubiläumsjahr an den meisten Falconisti vorbei. Genau 100 Jahre nachdem die „Ur-Guzzi“ das Licht der italienischen Sonne erblickte. Jetzt hör ich Euch schon sagen: “Ja aber 2021 ist doch erst 100 Jahre Moto Guzzi?!“ Ja gut! 1921 ist zwar das Gründungsjahr der Firma Moto Guzzi (Societa Anonima Moto Guzzi). Aber der Prototyp. die G.P., entstand 1919. Diese nur einmal gebaute 500er, die immer noch wie die Mona Lisa im Louvre hinter Glas im Guzzi Museum zu bestaunen ist, hatte schon all das was eine Guzzi danach populär und erfolgreich machte: liegender Einzylinder mit außenliegender Schwungscheibe, Bohrung 88 mm und  Hub 82 mm, Getrenntschmierung, verzahnter Primärtrieb statt Kette. und dazu all die Innovationen, die sich erst später im Rennsport wiederfinden, wie 4-Ventilkopf, Königswelle, Doppelzündung u.s.w. Unglaublich für die Zeit, aber leider für die Serie nicht umsetzbar weil zu teuer. Also ist doch dieses Jahr 1919 dann nicht das wirkliche Entstehungsjahr von Moto Guzzi?

La Storia Vecchia

Für mich eindeutig ja! Und auch für Giovanni Trincavelli genannt „Gechi“ der Ur-Neffe von Giorgio Ripamonti in dessen Werkstatt ich gerade auf dem alten Drehschemel sitze und seine Skizzen und Entwürfe betrachte, die er für das riesige Bild von Giovanni Ravelli auf seinem Premiermotorrad in Originalgröße gemacht hat. (Das Bild ist wirklich grandios und ist aktuell nun in der Nähe des Guzzi Werkstores zu bestaunen).

Mein Blick schweift weiter über all die alten original belassenen Dinge in dieser historischen Werkstatt. Hier scheint tatsächlich die Zeit eingefroren zu sein. Bekomme eine leichte Gänsehaut, nicht nur von der Kälte die Ende November durch die einfache Verglasung der alten Schmiede kommt, sondern vor allem von den Bildern die gerade vor meinem geistigen Auge entsteht.

An der offenen Feuerstelle steht vor mir der Schmied Giorgio Ripamonti, il ferro der das 28er Eisenrohr mit seinem derben Händen im Feuer dreht, um es dann glühend in Form zu bringen. Den Stahl hat zuvor sein Neffe, also Gechis Großonkel, mit dem Esel mühevoll von Lecco nach Mandello transportiert.

Unter den konkreten Anweisungen von Carlo Guzzi biegt Giorgio nun die vorderen Rahmenzüge des neuen Motorrades, das zu diesem Zeitpunkt noch keinen Namen hat, aber als Guzzi Parodi „ G.P.“ in die Geschichte eingehen wird. Vor dem Tor des Innenhofs in der Via Cavour 8 hört man die Kolbenschläge einer 350iger Premier ausklingen. Giovanni Ravelli nimmt seine Lederkappe ab, klemmt diese wie gewohnt zwischen Hofmauer und Lenker  der ständerlosen Premier Sportrennmaschine mit welcher er am Vormittag noch erfolgreich den „Circuito del Lario“ bei Bellagio bestritten hat. Ravelli betritt die Schmiede, sich am ganzen Körper schüttelnd um die Winterkälte aber wohl auch die leidigen Vibrationen der Premier los zu werden. Der bekannte Pilot und Rennfahrer  kann es kaum erwarten, das neue Motorrad endlich zu testen. Er wird es leider nicht erleben und später wird ihm zum Gedenken ein fliegender Adler alle künftigen Guzzi´s zieren…aber im Moment weiß nur ich hier im Raum um die weitere Geschichte….Mein Blick wechselt zu Giorgio Parodi, der aus einer anderen Ecke der Werkstatt das geschäftige Treiben beobachtet. Er liest noch mal den Brief den Emanuele Vittorio Parodi ihm den Sohn am 3. Januar 1919 gesendet hat und überlegt, ob die gewagte Konstruktion seinem Herrn Vater wohl auch zum Gefallen gereiche. Immerhin hat er in diesem Brief versprochen 1500 bis 2000 Lira Kapital zur erfolgreichen Durchführung des Experimentes zu gewähren. Während Parodi sinniert, ob da noch mehr drin sei, wird es langsam warm in der belebten Schmiede. Der fußbetriebene Blasebalg heizt die Glut an, die sich nun auch wohltuend auf mich überträgt. Eine Lampe leuchtet im Hof auf und wirft ihr gelbes Licht durch die sich öffnende Tür. Die Lichtstrahlen formen aus dem herannahenden Schatten eine imposante Silhouette. Ich erkenne Umrisse von Schiebermütze, Ohrwärmer und eine Flasche Genovese. Das muss der große Emanuele Vittorio Parodi sein, der sich von der Fortschritten des Trios überzeugen will. Fantastico! Jetzt bin ich wirklich auch Teil der Geschichte!

 „Ma-Ti ass-aut!“ verlautet ein kräftige Stimme „ Andiamo in Wunderbar! Dobbiamo guardare il film de la festa!“ Das war nicht der alte Parodi sondern Gechi, der mich gerade aus meinen Träumen reißt. Oh wie schade! Aber na gut, schauen wir halt den Film zu diesem Jubiläumsfest bei einem guten Vino.

La Storia Oggi

Das inoffizielle Fest fand eine Woche vor dem all jährlich statt findendem Raduno statt. Gechi und seinen rührigen Freunde haben es in Eigeninitiative organisiert, damit dieses historische Ereignis nicht in Vergessenheit gerät. Fleißig wurden einige Plakate gedruckt, die wir als Falcone Club auch mit gesponsert haben. Pünktlich zu den Vorbereitungen reiste ich an. Auch Sylvia und unser Präsi Karl ließen es sich nicht nehmen das Fest mitzufeiern Die musikalische Generalprobe war schon eine Show für sich. Amüsiert beobachten wir das hektische Durcheinander. Danach zu urteilen, müsste eigentlich alles in die Hose gehen. Wir verstanden quasi „non una parole“, also kein Wort! Es erinnerte alles  stark an Revolution Nr.9 vom weißen Album der Beatles. Aber so läuft das halt hier im „La Dolce-Vita-Land“  Und letztendlich die Feier? Ja die war dann wirklich der Knaller! Nix gegen das jährliche offizielle Guzzi Fest, aber hier fand die wirkliche Party statt! Die Via Cavour, nicht gerade unwichtig um aus Mandello rauszukommen, wurde oberhalb kurzerhand mit zwei Guzzis gesperrt Dafür hat hier in der „città dei motori“ jeder Verständnis. Die andere Sperre bildete die Bühne die von Francino (der Ralf Baumbach aus Mandello) kurzerhand quer über die Straße zusammen gezimmert wurde. Die Stimmung gestaltet sich grandios, auch wenn die Musik nicht immer perfekt klingt. Aber sie kommt von Herzen und das ist das, was sich in dieser schönen Spätsommernacht auf die geschätzten 200 Besucher überträgt.  Auch ich schwinge unweigerlich meinen Speck im Rhythmus von Italo-Hits und schrägen Karaoke Songs. Super Stimmung, aber so richtig bin ich nicht in Fahrt.Ärgere mich immer noch darüber, dass ich den offiziellen Festakt quasi „verschluckt“ habe. Unter anderem die unter großem Beifall feierliche Enthüllung des viel bewunderten Ravelli Gemäldes. Eigentlich geplant mit musikalischer Untermalung meines Grammophons und der Schellack „La donna é mobile“. Aber der Herr Mattheo muss ja derweil beim Falcone Bitter in der Bar Centrale versacken…! Dabei hat sich Gechi, zu Recht sichtlich enttäuscht, doch so sehr auf diese Inszenierung gefreut. Während im Hintergrund die Feiergemeinde völlig losgelöst den Adriano Celentano Song  trällert „il tempo se ne va“ was so viel heißt wie: „Die Zeit vergeht“, wandert mein Blick nachdenklich von meinem stumm gebliebenen Grammophon auf das im Rausch des Festes etwas vergessene aber sehr real wirkende Gemälde von Ravelli und seinem Motorrad. Zwischen dem schräg angelehntem Bild und der alten Hofmauer klemmt noch  ein Stück vom Enthüllungsstoff…fast wie….nun stellt sich sogar meine Armbehaarung auf. Ravelli schaut mich über seine linke Schulter eindringlich an. Ich kann mich diesem Blick nicht entziehen und höre diese vertraute Stimme, die sagt „Ma-Ti as-auth! Machte nixe! Guzzi vive! Wunderbar!“

Plötzlich ist es 100 Jahre später. Gechi holte mich  zurück in die immer noch lebendige Guzzi-Zukunft und wir feiern bis in das was Morgen kommt. 

 

Epilogo

100 Jahre Guzzi Geschichte könnt ihr alle so wie ich mit dieser DVD nochmal erleben. Gechi und seine Freunde haben einen rührigen Film gedreht: “Il Vento“ der das Entstehen um die G.P. und die Freundschaft der 3 Gründer Guzzi, Ravelli und Parodi zum Ende des 1: Weltkrieges erzählt. Inzwischen auch mit deutschen Untertiteln zu haben. Ihr könnt die DVD bei Gechi Giovanni Trincavelli im Antica Officina bekommen. info@anticaofficinabeb.it oder über Matthias Auth extern.eins@web.de beziehen         Mattheo