Reise mit zwei Nuovo Falcone Gespannen in die Türkei – Teil 1

Dieser Bericht über eine Reise mit zwei Gespannen Nuovo Falcone plus Steib S250 (einmal Transportkiste) erschien in der Falcone-Post von Ausgabe 1/92 bis 1/95. In erster Linie habe ich das damals geschrieben, damit überhaupt etwas in der Falcone-Post stand.

Insgesamt umfasste die Geschichte in Fortsetzungen zehn Teile. Der Reisebericht beginnt mit Teil fünf.

Die Reise in die Türkei war im Sommer 1982. Das war das Jahr, in dem Helmut Kohl Bundeskanzler wurde und Leonid Breschnew starb.

Harald Stränz

Mit den Erfahrungen über die Zuverlässigkeit unserer Gespanne, also mit gemischten Gefühlen (zumindest meinerseits), machten wir uns dann eines Tages auf den Weg in die Türkei. „Unser“ Türke, der bei uns in der Straße wohnt, hatte uns schon lange bekniet, ihn doch einmal zu besuchen, wenn er seinen Jahresurlaub in der Türkei verbringt.

Von der Küste geht es in die Berge in Richtung Kosovo


Unser Ziel war Dadagi im anatolischen Bergland, ca. 300 km südöstlich von Ankara. Zumindest für den Hinweg hatten wir uns vorgenommen, nicht über den Autoput durch Jugoslawien zu fahren, sondern die Küstenstraße zu benutzen, die „Jadranska magistrale“. Das verlängert zwar die Anreise um mehrere hundert Kilometer, aber es sollte ja auch Urlaub sein. Und das Mittelmeer immer badebereit am Weg zu haben, das ist wahrhaftig keine schlechte Sache.

Wir hatten sechs Wochen Zeit und ca. 10 000 km vor uns. Der Boden meines Seitenwagens war mit Teilen besser bestückt als so manches Lager eines Guzzi-Händlers. Ein kompletter Zylinderkopf, Zylinder mit Kolben, Fliehkraftregler, Zündkontakte, Kondensator, eine Schachtel mit Schrauben und Muttem, Antriebskette, Kettenschlösser usw. Ferner waren an Bord: zwei Ersatzreifen samt Schlauch, Luftpumpe, Reservekanister, Wagenheber (kann beim Gespann ganz nützlich sein), Abschleppseil, Motoröl (2 Liter), Werkzeugkiste inkl. Falcone-Spezialwerkzeug. Und dann der übliche Elektrikkleinkram, etwas Bindedraht, stabile Gummibänder, Bowdenzüge etc.

Mitte August ging’s dann los. Ab auf die Autobahn. Erstes Etappenziel Frankfurt. Besuch bei meiner Schwester. Weiter am nächsten Tag. Ein bestimmtes Ziel hatten wir nicht. Wir wollten fahren, solange es Spaß machte. Bloß keinen Stress. Am Millstätter See in Österreich gefiel es uns ganz gut, und so bauten wir unser Zelt auf und genossen einen milden Sommerabend am Wasser.

Auch am nächsten Morgen strahlender Sonnenschein. Es fällt leicht aufzustehen. Frühstück, packen, optische Kontrolle der Gespanne. Los geht’s.

Auf dem Weg zur jugoslawischen Adria sind aber zunächst die Karawanken zu überklettern. Wir haben uns dazu den Wurzenpass ausgesucht, denn da geht’s richtig aufwärts. Immerhin bis zu 26 % Steigung. Man kommt gar nicht auf die Idee, mal den zweiten Gang zu versuchen. Der Seitenwagen will überhaupt nicht den Berg hoch, da muss man schon ordentlich am Lenker gegenhalten, damit man geradeaus fährt. 3000 U/min, langsam und gleichmäßig geht’s aufwärts. An den Füßen und Beinen spürt man die Wärme, die der Motor abstrahlt. Selbst das Öl im frischgeschmierten Kupplungszug wird dünn wie Wasser und lauft auf das Motorgehäuse. Als wir auf der Passhöhe anhalten, qualmt das Öl außen auf dem Motorblock, der wohl reichlich mehr als Betriebstemperatur hat. Aber es ist ein Moto-Guzzi-Nuovo-Falcone-Motor. Der kann was ab.

Auch die nächste Nacht haben wir am Wasser verbracht, und zwar in Selce am Jadransko More (Mittelmeer), südlich von Rijeka, der Insel Krk gegenüber. Auch hier blieben wir nur eine Nacht. Der Campingplatz war im wahrsten Sinne des Wortes beschissen. Besser war es dann auf dem nächsten Platz kurz vor Split.

Split

Unsere Tagesstrecken lagen immer so bei 300 bis 350 km, wobei es durchaus verkommen konnte, daß wir auch schon mal für 320 km inklusive aller Pausen zehn Stunden unterwegs waren. Das war für die Verkehrsverhältnisse (Pferdefuhrwerke, Eselkarren, Kinder, Hunde und Hühner auf der Straße) gar nicht so schlecht. Und es war immer noch Urlaub. Zum Five o’clock tea stand das Zelt fast immer.

Weiter und weiter ging’s nach Südosten. Bis nach Kotor. Traumhaft schön. Vor uns das Mittelmeer, hinter uns steil aufragende Berge. Hier hätte man bleiben können.

Doch wir wollten und mussten weiter. Es hieß Abschied nehmen vom Meer. 120 Kilometer ging’s nun nach Norden in die Berge, denn eine Durchreise durch Albanien war nicht möglich. Wir mussten also den Weg durchs Kosovo und Makedonien nehmen.

Mit der Landschaft änderten sich auch die Menschen. War an der Küste immer noch eindeutig Mitteleuropa, war man hier, nach nur 50 Kilometern, in Südosteuropa. Hier brachte der Tourismus keine Devisen mehr. Hier mussten die Menschen mit dem auskommen, was das Land bietet – und das ist verdammt wenig.

Die Bucht von Kotor

Eigentlich sollte der Weg nach Norden nicht so weit führen, ich meinte, auf der Karte eine Straße ausgemacht zu haben, die wohl nicht sehr gut ausgebaut, aber doch befahrbar schien. Wir wollten es jedenfalls versuchen.

Es ließ sich auch sehr gut an, die Straße war besser, als der dünne Strich auf der Karte vermuten ließ. Doch nach fünf Kilometern war Schluss. Die Straße endete in einem Schotterfeld, das vom letzten Bergrutsch zeugte. Wir mussten umkehren. Das war wenig erfreulich, denn wir wussten, dass uns etwas sehr Unangenehmes erwartete. Etwa drei Kilometer straßenabwärts lag an der Straße ein Zeltdorf, das schon an seinem Äußeren erkennen ließ, dass dort die Ärmsten der Armen hausten. Und die hatten viele Kinder. Und die wiederum hatten viele Steine. Das hatten wir schon bemerkt, als wir aufwärts in die Berge fuhren. Hier fuhr normalerweise kein Mensch. Die Kinder waren von unserem Auftauchen wohl so überrascht, dass sie das Steinewerfen fast vergessen hatten.

Doch sie würden wissen, daß wir zurückkommen mussten. Und sie würden vorbereitet sein. Am schlimmsten sind dabei nicht einmal die, die gut werfen können, sondern die Kleinkinder, die einem direkt vors Motorrad laufen. Die Werfer stehen fast immer nur auf einer Straßenseite, und wenn man den behelmten Kopf zur anderen Seite dreht, kann kaum etwas passieren.

Wir mussten uns also auch vorbereiten. Alles, was wir an Kleingeld (Münzen und Scheine) hatten, haben wir uns griffbereit in die Jackentaschen gesteckt. Dann sind wir ohne laufenden Motor bergab gerollt bis zur letzten Kurve vor dem Zeltlager.

Noch mal anhalten, zweiten Gang rein. Zündung an. Ventillausheber ziehen, rollen. Ventilausheber loslassen und Gas. Und dann fliegen Steine. Münzen und Scheine. Die Kinder vergaßen die Steine und rauften sich um das Geld. Es war geschafft.

Aber das sollte für den Tag noch nicht alles gewesen sein. Die Straße führte wieder nach Südosten. Grundsätzlich jedenfalls. Das längste Stück geradeaus waren wohl mal 100 Meter, ansonsten Kurve an Kurve. Wenn man in der Gegend häufiger mit einem Gespann unterwegs ist. braucht man kein Bodybuilding-Studio.

Der Tunnel des „Grauens“

Und dann kam der Lokve-Tunnel. Eigentlich ist er nur einer von sehr vielen auf dieser Strecke. Aber er ist der längste, 1600 Meter. Und im Tunnel war eine Baustelle. Und es gab einen Unfall. Und einen Stau. So ähnlich wie dieser Tunnel muss die Hölle sein. Dieselgetriebene Baumaschinen, LKWs mit laufenden Motoren, armdicke Auspuffrohre, schwarzer stinkender Qualm. Luftfeuchtigkeit 110 %, 40 Grad Celsius, keine Entlüftung. Kein Vor und kein Zurück. Nach ungefähr einer Stunde kam Bewegung in die Kolonne. Licht am Ende des Tunnels.

Das Wetter hatte sich schlagartig geändert. Bei strahlend blauem Himmel waren wir in den Tunnel gefahren, und jetzt pechschwarzer Himmel, Wolken, die nur 100 Meter über einem hingen. Kurze Pause zum Luftholen. Regenklamotten anziehen. Der Himmel öffnete seine Schleusen. Es schüttete wie aus Eimern. Vor uns nur noch eine Wand aus Wasser. Von der heißen Straße stieg Dampf auf. Sichtweite fünf Meter. Im Schrittempo nach Rozaj. Dort konnten wir uns unterstellen. An eine Weiterfahrt war nicht zu denken.

Nach einer Stunde war alles vorbei. Die Sonne lachte wieder vom Himmel, als wäre nichts gewesen. Ein Jugoslawe, der in Deutschland gearbeitet hatte, fragte uns nach dem Woher und Wohin und machte uns darauf aufmerksam, dass auch die Straße, die wir eigentlich benutzen wollten, durch einen Erdrutsch unpassierbar sei und wir einen anderen Weg nehmen müssten.

Wir waren kaum unterwegs, da kamen über die Berge wieder dunkle Wolken. Die Straße schlängelte sich über Serpentinen empor zum Kula-Pass. Es fing an zu regnen. Schon nach ein paar Minuten wurde es lausig kalt, die Tropfen wurden zu Flocken, und dichter Nebel zog auf.

Noch vor wenigen Stunden waren wir mit T-Shirt und Jeans an der Adria entlanggefahren. Und jetzt wurde es Winter. Immer häufiger drehte das Hinterrad durch – auf der Straße bildete sich eine geschlossene Schneedecke. Der Nebel wurde dichter. Die Brillen waren so sehr abgekühlt, dass der Schnee eine feste Schicht auf dem Glas bildete, die nicht mehr abzuwischen war. Hoch mit der Brille, die Schneeflocken bissen in den Augen. Aber wir mussten weiter, die Straße war schmal, nirgends Platz zum Anhalten.

Mit zunehmender Höhe wurde es kälter. Die Finger in den dünnen Sommerhandschuhen begannen zu schmerzen. Und es ging immer noch bergauf. Der Baumbestand wurde spärlicher, und ein eisiger Wind wollte uns wieder zurückblasen. Dann tauchte auf der rechten Seite etwas Großes, Dunkles aus dem Nebel auf, irgendeine Hütte,Scheune oder so etwas. Als wir auf den kleinen Platz vor dem Gebäude fuhren, sah ich, dass auf eine Wand die Wörter „Bufett Kula“ gemalt waren.

Auf den letzten Kilometern hatten uns zwei Italiener auf einem Vesparoller begleitet, die nun auch völlig durchnässt und erschöpft hier eine Pause einlegen wollten.

Das Buffet Kula – Unsere Rettung an diesem Tag


Es war ungefähr 16.00 Uhr, trotzdem war es fast dunkel. Im Bufett Kula brannte kein Licht, als wir die Gaststube betraten. An einem Tisch saßen zwei Männer. Der eine trug eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und dazu ein rotes Jackett mit schwarzen Revers. Er war der Chef des Hauses.

Er wies uns einen Tisch zu und rief durch eine Klappe in der Wand etwas in den Nebenraum. Kurz darauf betrat ein junger Mann den Raum, der nach einem kurzen Wortwechsel mit seinem Chef nach einem Beil griff, das in einer Ecke stand. Von einem Tisch nahm er eine Decke, zog sie über den Kopf und ging hinaus in den strömenden Regen. Nach kurzer Zeit war er zurück, in den Armen einen Stapel Brennholz. Ein paar Minuten später prasselte im Ofen ein helles Feuer. Man konnte es durch die Ritzen in dem uralten Stück gut sehen.

Die Fürsorge hatte damit aber noch kein Ende. Auch im Nebenraum, der als Küche und Wohnraum diente, war ein Ofen in Betrieb. Und auf eine dort gespannte Wäscheleine konnten wir unsere Sachen zum Trocknen hängen. Der Chef war außerordentlich zuvorkommend. Er stellte uns eine Kerze auf den Tisch. Strom gab’s dort oben nicht. Wasser wurde auf der anderen Straßenseite aus einem kleinen Bergbach geholt.

Das Angebot an Speisen und Getränken war klein. Es gab Bier, Kaffee und Tee. Aber wir hatten noch etwas zu essen. Brot und Käse. Ich habe auf Reisen mit dem Gespann immer ein sehr stabiles großes Messer bei mir, das zum Brotschneiden genauso geeignet ist wie zum Kleinholzmachen für ein Lagerfeuer. Es lassen sich auch Konservendosen damit öffnen oder Zelthäringe einschlagen.

Mit diesem Messer schmierte ich nun Brot im Bufett Kula. Der Chef kam an unseren Tisch und nahm mir das Messer aus der Hand. Er betrachtete es ausgiebig. Er nickte anerkennend und gab es mir mit den Worten zurück: „Gutt, särr gutt.“ Dabei schob er sein rotes Jackett auf der linken Seite zurück und zog mit der rechten Hand sein weites weißes Hemd ein wenig aus der Hose. Zum Vorschein kam eine Pistole. Er nahm sie in die Hand, richtete sie auf das Messer und sagte: „Gutt, särr gutt“, deutete dann auf seine Pistole. „Bessärr, keine Probbläme.“ Die Pistole verschwand wieder in den Falten des Hemdes. Wir waren in guten Händen.

Es war schon etwas merkwürdig im Bufett Kula. Draußen war es dunkel. Kein Haus sonst weit und breit. Doch von Zeit zu Zeit kamen und gingen andere Gäste, ohne dass ein Auto angehalten hätte. Sie tranken meist schweigend ihren Kaffee und gingen dann wieder. Wir fragen uns heute noch, woher diese Menschen kamen und wohin sie wohl gegangen sein mögen.

Dann wurde es lebhafter. Draußen hielt ein Kleinbus, und die Fahrgäste, ausschließlich Männer, kamen herein. Es wurde viel und laut geredet und gelacht. Einer der Männer verließ den Raum, kam aber bald zurück und trug etwas unter dem Arm. Das Gelächter wurde lauter. Das, was der Mann unter dem Arm trug, war ein Ziegenbalg mit Pfeifen daran. Aus Schottland kennt man das als Dudelsack. Und dann gab’s Folklore für die Touristen. Nur dass es völlig echt war. Draußen strömender Regen, drinnen der glühende Ofen und die einsame Kerze auf dem Tisch. Glimmende Zigaretten, weiß blitzende Zähne in sonst kaum sichtbaren dunklen Gesichtern. Dazu melancholische Töne aus dem Ziegenbalg und raue Stimmen. Es war faszinierend.

Noch etwas hat mich fasziniert Es war die Selbstverständlichkeit, mit der uns Gastfreundschaft gewährt wurde. Nicht eine Sekunde hatten wir das Gefühl, wir seien nur willkommen, wenn wir alles, was wir tranken, auch bezahlen würden. Wir waren einfach Gäste aus der Fremde.

Ich hatte keine Zigaretten mehr und habe einen der anderen Gäste um eine gebeten. Selbstverständlich hat er mir eine gegeben. Nichts Besonderes. Nur – als er ging, hat er mir die noch fast volle Schachtel auf den Tisch gelegt. Ganz selbstverständlich. Ich durfte mich nicht einmal bedanken. Wir waren Gäste.

Der Chef – Kein Problääm


Später dann hat uns der Chef klargemacht, dass eine Weiterfahrt nicht in Frage käme, er sei als Gastgeber für uns verantwortlich. Der nächste Campingplatz sei zu weit entfernt Wir müssten bei ihm übernachten. Die Tische wurden beiseite geschoben, Luftmatratzen und Schlafsäcke ausgerollt. Der Chef schlief nebenan. Bevor er ging, klopfte er auf seine linke Seite, schaute uns an, klopfte dann an die Wand und sagte: „Keine Probbläme.“

Teil 2 folgt