Reise mit zwei Nuovo Falcone Gespannen in die Türkei – Teil 4

Dieser Bericht über eine Reise mit zwei Gespannen Nuovo Falcone plus Steib S250 (einmal Transportkiste) erschien in der Falcone-Post von Ausgabe 1/92 bis 1/95. In erster Linie habe ich das damals geschrieben, damit überhaupt etwas in der Falcone-Post stand.

Insgesamt umfasste die Geschichte in Fortsetzungen zehn Teile. Der Reisebericht beginnt mit Teil fünf.

Die Reise in die Türkei war im Sommer 1982. Das war das Jahr, in dem Helmut Kohl Bundeskanzler wurde und Leonid Breschnew starb.

Harald Stränz

Was uns auch fehlte, das war eine Erfahrung, die man in Deutschland eigentlich nicht mehr braucht. Erfahrung mit einer Art von Gastfreundschaft, die einen einhüllen will in Watte, damit einem ja nichts passiert. Ein kleines Beispiel nur: das ungewohnte Sitzen auf dem Fußboden (in dafür absolut ungeeigneten, weil zu engen und überall kneifenden Jeans) und das oben beschriebene Fladenbrot verursachen bei fast jedem Europäer Blähungen in einer Art und Weise, die nur noch einen Wunsch wecken: stehen, gehen, laufen, bewegen und Winde streichen lassen. Aber in Dadagi geht kein Mensch spazieren, die Anatolier sind doch nicht verrückt – bei der Hitze, da sitzt man still im Schatten.

Doch Nuris Haus hatte einen Balkon, dort konnte man stehen und über das Dorf schauen.

Lässt aber ein guter Türke seinen Gast stehen? Das wäre unhöflich, fast eine Kränkung. Und extra für die Gäste aus Deutschland hatte Nuri sich Stühle für den Balkon bei Pascha ausgeliehen. Man wird also gebeten, es sich doch bequem zu machen, sich hinzusetzen. Die Qual geht weiter.

Abends, wenn es kühler wird, könnte man ja spazieren gehen. Aber auch abends geht in Dadagi niemand spazieren. Es ist stockfinster. Wirklich rabenschwarze Nacht. Und halbwilde Hunde streunen durchs Dorf – groß wie Kälber, dürr wie einst Twiggy, nur sie leiden nicht an Magersucht und haben immer Hunger und fressen fast alles.

Es blieb nur eins – die Flucht mit der Falcone aus dem Dorf.

Nach dem Frühstück hat sich Marlen in den Steib geklemmt – und dann sind wir losgefahren, die Sehenswürdigkeiten Anatoliens zu betrachten. Wunderbare lösende Vibrationen schickte der Falcone-Motor bis zum Sattel. Nach einer Stunde Fahrt war die Welt wieder in Ordnung.

Sehenswürdigkeiten in Anatolien? Aber sicher. Einmalige Sachen. Ich will das nicht alles beschreiben, es gibt z. B. über das Tal von Geröme immer mal wieder was im Fernsehen. Aber wenn man mittendrin ist – es ist nicht zu fassen.

In Göreme bestehen die Felsen aus Tuffstein

Oder Derinkuyu. Eine ganze Stadt unter der Erde. 16 Stockwerke tief, acht sind bisher z. T. wieder ausgegraben. 60 000 Menschen haben da mal gewohnt. Wasserversorgung, Be- und Entlüftung. Abfallwirtschaft, all das hat funktioniert. Nicht zu begreifen – fassungslos steht der Mensch aus dem hochtechnisierten und ach so zivilisierten Deutschland 40 Meter unter der Erde – nee, also wirklich, besonders weit haben wir es eigentlich nicht gebracht.

Wir waren jeden Tag unterwegs. Auch in Avanos. In Avanos gab es Eis. Marlen war viel schlauer als ich, sie hat Orangensaft getrunken. Aber ich habe Eis gegessen. Von da an hatte ich keine Blähungen mehr. Die Tabletten gegen den Durchfall haben überhaupt nicht geholfen. Es war grauenhaft.

Trotzdem waren wir noch in Ortahisar, Ürgüp, Mustafa Pasa, Haçibektas und anderen Orten, deren Namen ich vergessen habe. Es waren immer Tagesausflüge von Dadagi aus. Und immer kam man abends mit Eindrücken zurück, die uns z. T. heute noch beschäftigen.

Einmal habe ich mich verfahren. Wir wussten nicht mehr, wo wir waren. Wir hatten zwar eine Karte von Göreme und Umgebung. Karte ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, es war eigentlich nur eine Skizze in Schwarzweiß auf einem Blatt Papier. So ungefähr DIN A3. Aber der Weg, auf dem wir uns befanden, war da nicht drauf. Und Wege, die eingezeichnet waren, gab es nicht in der Natur.

Ich fuhr einfach weiter, immer in der Hoffnung, irgendwann an einen Ort zu kommen, den man kannte. Doch dann nahte Rettung. Ein einsamer Treckerfahrer kam uns entgegen. Als ich anhielt, stoppte der Fahrer sofort sein Gefährt. Ich fragte nach Dadagi. Dazu muss ich aber noch sagen, dass Dadagi nicht immer Dadagi heißt. Es kann auch Dadale heißen. Dadagii oder Dadáli. So genau weiß das wohl keiner. Und es wird immer anders ausgesprochen.

In die Felsen habe die Menschen Wohnhöhlen gegraben

Aber auf unserer Skizze war der Ort eingezeichnet, und daneben stand der Name: DADAGI. Der Treckerfahrer griff nach der Karle, legte sie auf das Lenkrad und musterte das Blatt Papier mit zusammengekniffenen Augen und gerunzelter Stirn. Er dachte angestrengt nach, denn anfangen konnte er damit nichts. Ich konnte das daran erkennen, das die Skizze falsch herum auf dem Lenkrad lag. Die Schrift stand auf dem Kopf. Ich glaube, es war das erste Mal, dass der gute Mann so etwas wie eine Landkarte in den Händen hielt.

Doch plötzlich erhellte sich seine Miene, und mit einem Schwall von Worten und weit ausholenden Gesten begleitet von einem freundlichen Grinsen wies er uns den den Weg. Ich glaubte ihm keine Silbe.

Denn ich wusste, was auch er wusste. Dass es nämlich unhöflich ist, dem Fremden, der nach dem Weg fragt, nicht den Weg zu weisen – auch wenn man ihn selbst nicht kennt. Besser den falschen Weg als gar keinen Weg.

Wir fuhren also, nachdem wir uns für seine Mühe bedankt hatten, in die angegebene Richtung. Es wäre noch unhöflicher, wenn nicht gar beleidigend gewesen, es nicht zu tun.

Die Sonne hatte inzwischen fast den Horizont erreicht. In spätestens einer Viertelstunde würde es dunkel sein, noch eine Viertelstunde später schwarze Nacht. Ich hielt noch mal an, schaute auf die Skizze und ließ mir durch den Kopf gehen, was der Treckerfahrer gesagt, gezeigt, gelacht hatte. Plötzlich, wie aus dem Nichts tauchten drei ältere Männer neben dem Weg auf. Sie machten fragende Gesichter, und ich sagte wieder Dadagi.

Ballonfahren in Kappadokien – Die Attraktion in dieser Gegend

Linien wurden in den Sand des Weges gemalt. Hände beschrieben fließendes Wasser. Arme bildeten eine Brücke, eine Kreuzung. Füße gingen geradeaus, bogen im spitzen Winkel ab. Die Beschreibung war perfekt. Ich habe zwar kein Wort der ununterbrochen sprechenden Männer verstanden, aber jede ihrer Gesten. Und im stillen entschuldigte ich mich bei dem Treckerfahrer – er war doch nicht nur höflich gewesen.

Also auf gen Dadagi. Bald schon folgte der Weg einem Flüsschen, links ab, da war die Brücke, wenig später die Kreuzung, danach der Abzweig in spitzem Winkel.

Und dann machte jemand das große Licht aus. Schlagartig war es dunkel. Die Büsche am Wegesrand wurden zu Schemen. Stand da nicht jemand? Ist das ein Hund? Das Licht des Scheinwerfers tauchte wie in schwarzen Samt – wurde verschluckt.

Dann stand da tatsächlich einer, ein Gewehr in der Hand. Was machte der da? Mitten in der Wildnis? Wozu das Gewehr?

Plötzlich drei Hunde neben uns, so schnell wie wir. Böses Knurren, Hecheln! Spielen wollten die bestimmt nicht. Also mehr Gas, rein in die Finsternis. Die Falcone ist doch schneller als so Riesenhunde. Fast zu schnell.

Hinter einer Kuppe ist der Weg zu Ende. Und das Gespann rutscht auf dem Schotter. Aber wir müssen ohnehin linksrum. Slide in Anatolien. Und ich kannte jetzt den Weg. Hier waren wir schon einmal gewesen. Noch acht bis zehn Kilometer – Dadagi!

Nuri hatte sich große Sorgen um uns gemacht, war in die Kreisstadt gefahren, hatte bei der Polizei nach deutschen Motorradfahrern gefragt und zu seinem Schrecken erfahren müssen, dass in der Nähe von Nevsehir Deutsche mit dem Motorrad einen Unfall hatten. Doch es beruhigte ihn wieder etwas, dass es ein grünes Motorrad war, das auch keinen Seitenwagen hatte. Wir mussten ihm beim Barte des Propheten versprechen, in Zukunft immer vor Anbruch der Dunkelheit zurück zu sein. Schon im eigenen Interesse haben wir das dann auch gemacht.

Ankara war unser erstes Zwischenziel auf der Rückreise

Doch nach zehn Tagen in Anatolien, in denen ich pro Tag ein Kilo an Gewicht verloren hatte, beschlossen wir, die Heimfahrt anzutreten. Es musste sowieso sein, denn mehr als sechs Wochen Urlaub gibt ein normaler deutscher Tarifvertrag einfach nicht her.

Morgens so gegen acht fuhren wir los. Nun wieder mit zwei Guzzi-Gespannen.

Es kam uns noch heißer vor als in den vergangenen Tagen. Der Wind, der uns entgegenblies, schien aus einem Heißluftgebläse zu kommen, das auf höchster Stufe lief. Es war für die Falcones der absolute Härtetest – immer nur im dritten Gang gegen das Heißluftgebläse an, weit mehr als 150 Kilometer. Und dann der Staub – heiß und mehlfein. Im Gegensatz zu den Motoren hatten Marlen und ich keinen Luftfilter – Staub in der Brille, in den Augen, die Nase hatten wir im wahrsten Sinne des Wortes bald gestrichen voll.

Als wir Ankara hinter uns gelassen hatten, stellte eine gnädige Seele das Gebläse aus, im vierten Gang ging es Istanbul, dem Campingplatz in Yesilyurt entgegen.

Die Landschaft wurde wieder hügeliger, und bald ging es in die Berge zwischen Ankara und Bolu. Und da waren sie wieder: zwei türkische Polizisten auf BMW 60/5, freundliches Winken und schon waren sie hinter der nächsten Kurve verschwunden. Doch ein paar Kilometer weiter kam für uns die Kelle. Auf der linken Straßenseite war im Schatten ein kleiner Parkplatz. Pause. Freundliche Begrüßung, wir kannten uns ja, waren alte Freunde. Die unvermeidlichen Zigaretten wurden angeboten.

Einer der beiden Polizisten ging an die Straße, die Kelle in der Hand. Ein Opel Ascona mit Kennzeichen BO- tauchte auf, die Kelle ging hoch. Etwas ängstlich schaute der türkische Fahrer aus dem Fenster, griff zum Handschuhfach, um die Papiere herauszuholen. Worte wurden gewechselt, plötzlich ein breites Grinsen auf dem Gesicht des Fahrers. Er stieg aus, kam zu uns herüber, wir hatten einen Dolmetscher. Endlich konnten die beiden Krad-Polizisten ihre Neugier befriedigen, sie fragten uns Löcher in den Bauch. Als wir ihnen aber später sagten, daß wir noch bis Istanbul wollten, wurde die Pause beendet, und alle fuhren mit den besten Wünschen für den anderen ihres Wegs.

Aber an diesem Tag machten wir noch einmal die Bekanntschaft mit der türkischen Verkehrspolizei Die Straße ging leicht bergab, kein Wind, der einen bremste, nur ein Schild mit rotem Rand, auf dem in großen Ziffern 60 stand. Na ja, Gas weggenommen haben wir, aber es waren wohl immer noch 80 Sachen, als ich den Radarwagen sah.

Die Hagia-Sofia in Instanbul

Bremsen hatte keinen Zweck mehr. Abwarten, was da kommt. Es kam wieder einmal die Kelle. Ein Polizeibeamter in todschicker dunkelblauer Uniform mit viel Silber sowie allerlei bunten Abzeichen auf der Brust näherte sich uns: „Guten Tag! Sie sind 20 Stundenkilometer zu schnell gefahren. Bitte beachten Sie in Zukunft die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Sie gelten auch für Motorräder! Und noch etwas: in etwa sechs Kilometern kommt eine Baustelle, es gibt dort immer wieder Unfälle. Fahren Sie besonders aufmerksam. Seien Sie vorsichtig! Gute Fahrt!“ Zackig legte er die Hand an seine Mütze und ging zu den Polizeiautos zurück.

Gott sei Dank hatte ich einen Helm mit Kinnriemen auf: sonst wäre wohl meine Kinnlade auf den Tank geknallt. Ich war so verdattert, dass es mir beim Anfahren gelang, den Motor abzuwürgen. Ich drehte mich noch einmal zu dem Polizisten um – was hat der gegrinst. Alle Pluspunkte für ihn.